Geschichte der Iranistik an der Universität Göttingen
Friedrich Carl Andreas
Bereits im 19. Jahrhundert gab es an der Universität Göttingen Orientalisten (z.B. Paul de Lagarde), die sich unter anderem mit iranischer Kultur und Geschichte befassten. Die Geschichte der Iranistik im eigentlichen Sinne beginnt an der Universität Göttingen im Jahre 1903 mit der Berufung von Friedrich Carl Andreas auf den „Lehrstuhl für Westasiatische Sprachen". Andreas war mit der Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé verheiratet, die auch als Freundin Nietzsches, Rilkes und Sigmund Freuds bekannt wurde. Seine Theorie zur Überlieferung des Avesta (es sei bereits in „arsakidischer", d.h. parthischer Zeit niedergeschrieben worden und diese „Urfassung" lasse sich ausgehend von den vorliegenden, viel später verfassten Manuskripten schriftlich rekonstruieren) dominierte Jahrzehnte lang die Diskussion bevor sie schließlich widerlegt wurde. Andreas bearbeitete in seinen Forschungen ein breit gefächertes Spektrum von iranistischen Themen und Gebieten, u.a. zur modernen iranischen Dialektologie und zu den am Anfang des 20. Jahrhunderts in der Oase Turfan entdeckten mitteliranischen Sprachmaterialien. Er selbst publizierte wenig, seine Schüler jedoch, aus deren Kreis mehrere bedeutende Iranisten hervorgingen (u.a. W. B. Henning, W. Lentz), veröffentlichten einige von Andreas' Vorarbeiten nach seinem Tod.
Walther Hinz
Als zweiter Iranist wurde Walther Hinz 1937 als Professor für die Geschichte des Nahen Ostens an die Universität Göttingen berufen. Seine Habilitationsschrift Irans Aufstieg zum Nationalstaat im 15. Jahrhundert (1936) bildete den Ausgangspunkt zur modernen Erforschung der safawidischen Periode iranischer Geschichte. Nach dem 2. Weltkrieg musste Hinz aufgrund seiner Verstrickungen im Dritten Reich eine Tätigkeit außerhalb des universitären Bereiches annehmen.
Hans Heinrich Schaeder
Als dritter Iranist wurde 1946 Hans Heinrich Schaeder als Professor für Orientalische Philologie und Religionswissenschaft nach Göttingen berufen. Schaeder war ein „universaler Gelehrter", sein Werk ist von außerordentlicher Themenbreite gekennzeichnet. Seine Arbeiten zur Religions- und Schriftgeschichte des vorislamischen Iran und zur Wirkung des persischen Dichters Hafis auf Goethe haben bis heute überdauert. Nach Schaeders frühzeitigem Tod konnte Walther Hinz 1957 wieder den Lehrstuhl für Orientalische Philologie übernehmen. Er wandte sich nun zunehmend der Erforschung des vorislamischen Iran zu. Grundlegend wurden Hinz' weitere Arbeiten - die ebenfalls von Breite und Originalität zeugen - v.a. zum Elamischen, einer wichtigen Verwaltungssprache des Achämenidenreiches. Hinz schrieb des weiteren eine Reihe von Büchern (z.B. über den Religionsstifter Zarathustra), die ein breiteres Publikumsinteresse fanden. Eine von Hinz' letzten Veröffentlichungen behandelt wiederum ein Thema der islamischen Epoche (Islamische Währungen umgerechnet in Gold, 1991).
Klaus Schippmann
Unter Hinz' Ägide erfuhr das Seminar eine wesentliche personelle Ausweitung und Diversifizierung. Hinz erreichte, dass zusätzlich zu seinem Lehrstuhl Professuren für Arabistik und Turkologie eingerichtet wurden. Im Jahre 1972 schließlich erhielt der Archäologe Klaus Schippmann, der Verfasser eines Standardwerks über Die iranischen Feuerheiligtümer (1971), eine dem Seminar angegliederte Professur für „Vorderasiatische Archäologie (unter besonderer Berücksichtigung Irans)". Zu Schippmanns späteren Werken gehören Standardwerke wie die Einführungen in die parthische sowie in die sassanidische Geschichte (1980 bzw. 1990). Leider fiel nach Schippmanns Emeritierung (1989) seine Professur dem Rotstift des Wissenschaftsministeriums zum Opfer.
David Neil MacKenzie
Nach Hinz' Emeritierung wurde der Sprachwissenschaftler David Neil MacKenzie 1975 auf den mittlerweile umbenannten Lehrstuhl für Iranistik berufen. Sein Werk zeugt insgesamt von souveräner Beherrschung des gesamten iranischen Sprachmaterials und von großer Genauigkeit im sprachwissenschaftlichen und philologischen Detail. MacKenzies Kurdish Dialect Studies (1961) stellen bis heute die Grundlage zur Erforschung des Kurdischen dar. Sein Concise Pahlavi Dictionary (1971) hat für das Studium mittelpersischer (zoroastrischer) Texte den bis heute gültigen Standard gesetzt. Auch zu anderen iranischen Sprachen wie dem Paschto, Soghdischen oder Choresmischen hat MacKenzie grundlegende Texteditionen und sprachwissenschaftliche Arbeiten verfasst.
Philip G. Kreyenbroek
Nach MacKenzies Emeritierung (1994) wurde 1996 Philip G. Kreyenbroek (bis dahin an der Londoner School of Oriental and African Studies, SOAS, tätig) an das Seminar berufen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Beschäftigung mit der mündlichen Überlieferung iranischer Literaturen und Religion. An wichtigen Veröffentlichungen ist auf Sraosha in the Zoroastrian Tradition (1985), sowie Yezidism: Its Background, Observances and Textual Tradition (1995) hinzuweisen sowie auf zahlreiche Artikel über den Zoroastrismus, mündlich überlieferte Literatur und Kurden. Er arbeitete mit dem zoroastrischen Priester Dr. F. M. Kotwal an einer Edition und Übersetzung des Herbedestan und Nerangestan, wovon vier Bände erschienen sind (1992,1995, 2003 und 2009). Kreyenbroeks Lehrangebot umfasst sowohl Gebiete der Alt- wie der Neuiranistik, so z.B. Avestisch, Pahlavi, Persisch, Kurdisch, Paschto, Zoroastrismus, Sufismus und Yezidismus.