Dr. Christian Storch: Aktuelle Projekte im Rahmen der Forschergruppe "Musik, Konflikt und der Staat"
Formen und Funktionen kolonialer Musikpraxis in der Frühen Neuzeit am Beispiel des portugiesischen Estado da India, 1498-ca. 1700
Portugals koloniale Vergangenheit wurde in vielerlei Hinsicht bereits eingehend untersucht. Der Fokus lag dabei vor allem auf politischen, ökonomischen, aber auch missionshistorischen Implikationen kolonialer Ausdehnung nach Afrika, Lateinamerika und Asien. Weit weniger präsent innerhalb kulturwissenschaftlicher Diskurse über die Geschichte des Kolonialismus ist hingegen die Rolle der Musik bei der Eroberung der Welt. Das begonnene Forschungsprojekt will sich diesem Desiderat in der musikhistorischen Arbeit am Beispiel des musikalischen Einflusses Portugals in den Ländern Südostasiens im 16. und 17. Jahrhundert widmen. Der Fokus des Forschungsprojekts liegt auf der Untersuchung der Stellung von Musik im Spannungsfeld zwischen Missionierung und staatlichem Hegemonialstreben in den portugiesischen kolonialen Zentren Goa, Malakka und Macau.
Bisher erschlossene Quellen lassen erkennen, dass Musik einerseits dazu verwendet wurde, ‚Ungläubige’ zum katholischen Glauben zu missionieren, vor allem durch die Jesuiten, die ab Mitte des 16. Jh. von Indien aus in Südostasien aktiv wurden. Andererseits hatte westliche Musik eine Art Segregationsfunktion, um sich – und dies traf nach bisherigem Erkenntnisstand vor allem auf die adligen Repräsentanten vor Ort zu – gegenüber der einheimischen Bevölkerung abzuschotten.
Des Weiteren gab es jedoch, ähnlich wie in Brasilien, durchaus kulturelle Durchmischung, vor allem innerhalb der einfacheren Bevölkerungsschichten, die damit auch musikalische interkulturelle Begegnungen und Durchdringungen mit einschloss.
In diesem Dreiecksverhältnis zwischen Missionspropaganda, staatlich-imperialer Segregation und Akkulturation bewegt sich der zu untersuchende Gegenstand, der sich darüber hinaus schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch Stellvertreterkonflikten u.a. mit den religiös und politisch verfeindeten Holländern ausgesetzt sah. Damit ist die politische Dimension des Forschungsprojekts nicht allein auf interkulturelle Begegnungen zwischen Europa und Asien beschränkt, sondern spiegelt gleichsam zurück auf Konflikteruptionen zwischen europäischen religiösen und kulturellen Ideologien, deren Auswirkungen auf die Austragungsorte mehr als nachhaltig waren.