2011 - Hans Dieter Betz: "Der Apostel Paulus in Rom"
Die fünfte Julius-Wellhausen-Vorlesung am 4. November 2011 von Prof. Dr. Hans Dieter Betz (Shailer Mathews Professor Emeritus of New Testament, The University of Chicago) trug den Titel »Der Apostel Paulus in Rom«. Während es bei dem auch heute umstrittenen Thema zumeist um das Rätsel des Todes des Apostels geht, richtete sich der Vortrag auf die Fragen, was Paulus in Rom eigentlich wollte und wie er nach seiner Ankunft dort tatsächlich wirkte. Die Antwort auf diese Fragen hängt methodisch von den historischen Quellen ab. Es gibt deren zwei, von denen die Apostelgeschichte des Lukas nur knapp über die Ankunft des Apostels berichtet und dann in Kap. 28,16 abbricht. Für die Forschung ist dagegen bezeichnend, daß die andere, ergiebigere Quelle des Philipperbriefes bisher nur wenig erschlossen ist. Eine solche Erschließung erfordert ihre Zulassung als in Rom abgefaßt, sowie ihre literarische Analyse und im Zusammenhang damit eine Rekonstruktion der in ihr vorliegenden Geschichte des Briefes. Die literarische Analyse hat das Zeugnis des Polykarp von Smyrna (2. Jh.) ernstzunehmen, der von „Briefen“ oder „Briefschaften“ im Plural spricht. Die literarische Analyse des neutestamentlichen Philipperbriefes kann dieses Zeugnis bestätigen. Die historische Rekonstruktion ergibt einen nicht nur dramatischen, sondern auch theologisch fundierten Geschichtsbericht, dessen drei Dimensionen von Vorgeschichte, Gegenwart und Zukunft die Anfrage der Philipper nach der derzeitigen Situation des Apostels (1,12) beantwortet. Nicht untypisch für die hellenistisch-römische Epistolographie enthalten die Schreiben des Apostels zusatzliche Beilagen: eine formgerechte „Quittung“ für den von Epaphroditus abgelieferten Geldbetrag (4,10-20), sowie die Abschrift eines einzigartigen, aus früherer Zeit stammenden, autobiographischen Fragments (3,1b-21). Von einem späteren Redaktor zusammengefügt, fällt der Philipperbrief in seiner Ganzheit in die literarische Kategorie der „letzten Worte“ (ultima verba) des Apostels.
Der Vortrag ist als Heft 4 der Reihe „Julius-Wellhausen-Vorlesung“ beim Verlag Walter de Gruyter erschienen.