Göttingen als Zufluchtsort: Alltagserfahrungen, Kämpfe um Anerkennung und solidarische Netzwerke
Bericht Stadtlabor-Workshop:
Mit der Frage, welche alltäglichen Erfahrungen Geflüchtete in Göttingen machen, beschäftigte sich der Stadtlabor-Workshop am 28. Juni vom Flüchtlingscafé, der in Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt „Materialität der Migration“ des Göttinger Ethnologie Institutes organisiert wurde. Ahmad Fahim Rahimy und Krekar Muhammed berichteten in einem sehr eindrücklichen Dialog ihre zahlreichen, vielschichtigen aber auch traumatisierenden Erfahrungen als Geflüchtete in Deutschland und Göttingen. Dabei standen mannigfaltige Probleme der Ablehnung, Verweigerung von Sprachkursen oder von psychologischer Hilfe sowie der Abschiebungen und widersprüchlichen bürokratischen Entscheiden, mit denen beide im Alltag konfrontiert sind, im Mittelpunkt. Muhammed drückte dies, in Bezug auf die Residenzpflicht und das Verunmöglichen eines Studiums in einer anderen Stadt, so aus: “Für Euch Deutsche ist die Mauer weg, aber sie ist nur unsichtbar, denn für [Geflüchtete wie] uns ist sie immer noch da, jeden Tag.“ Und Rahimy ergänzte: „Wer bezahlt für die Fehler der deutschen Bürokratie? Es sind die Geflüchteten, die mit ihrer Lebenszeit dafür bezahlen.“
Außerdem stellte sich das Flüchtlingscafé, eine Gruppe hauptsächlich selbstorganisierter Geflüchteter, vor. Im Flüchtlingscafé ist die Selbstermächtigung von Geflüchteten ein zentraler Ansatz, da sich auf diese Weise solidarische Netzwerke entwickeln können. Dennoch wurde betont, wie wichtig alltägliche Formen der Unterstützung für Geflüchtete sind - wie etwa die Begleitung zu Behörden, um sie so weit wie möglich vor willkürlichen Entscheidungen und Diskriminierungen zu schützen, die viele erfahren haben.
Doch es wurden auch breitere gesellschaftliche Themen, wie etwa die zahlreichen Angriffe auf Geflüchtete und die aktuellen politischen Entwicklungen, diskutiert. Auf die Frage, wie er sich angesichts der Gefahren extrem erstarkter rechter Bewegungen in Deutschland fühle, antwortete Ahmad Fahim Rahimy: „Als Teil der Flüchtlingsbewegung fühle ich mich schuldig für das Erstarken der Rechten, auch wenn das nicht so sein sollte, und ich fühle mich durch die Rechte politisch ausgenutzt und missbraucht.“ Einig waren sich die Teilnehmer*innen darin, dass eine solidarische Stadt die Ausgegrenzten willkommen heißen, ihnen Raum geben und sie nicht noch weiter ausgrenzen soll, wie es im Moment auch in Göttingen geschieht. Wichtig sei es, von einer bemitleidenden Perspektive auf Geflüchtete wegzukommen und vor allem die gesellschaftlich Benachteiligten nicht gegeneinander auszuspielen; es geht darum, einen gemeinsamen politischen Druck für bessere Lebensbedingungen in Göttingen durchzusetzen.
Das Stadtlabor ermöglichte an diesem Abend einen spannenden Raum für den gemeinsamen Austausch und unterschiedliche Perspektiven auf Solidarität in der Stadt Göttingen. Es wurde aufgezeigt, wie solidarisches Handeln bereits geschieht, allerdings auch, was auf dem Weg hin zu einer solidarischen Stadt für alle noch passieren muss.
Katharina Brunner & Friedemann Yi-Neumann
Bilder von Maliheh Bayat Tork