Kunstwerk des Monats im Oktober 2009
04. Oktober 2009
"Sonnenuntergang von Emil Nolde"
Vorgestellt von: Rudolf Krüger, M.A.
Das Aquarell begleitete Emil Nolde (1867 - 1956) durch sein ganzes künstlerisches Schaffen. Noch bevor er mit der Ölmalerei begann, hatte er um 1890 schon viele Landschaftsaquarelle gemalt. Und als die körperliche Kraft des fast 90jährigen abnahm, entstand noch bis 1955 eine Folge von Blumen-Aquarellen. Im Gegensatz zu den Gemälden (1356) sind die Zeichnungen und Aquarelle Noldes bis heute ungezählt; es mögen etwa 7000 sein. Viele Kenner halten Noldes Aquarelle für besser als seine Gemälde. Eigentlich ist der Mensch das große Thema in Noldes Kunst. In seinem Werk stehen die figürlichen Bilder an erster Stelle. Aber neben den Blumenbildern und Stillleben stellen die Landschaften einen weiteren eigenständigen wichtigen Komplex in seinem Schaffen dar. Abgesehen von den Bildern seiner Südseereise 1913/14, welche tropische Landschaften zum Thema haben, hat Nolde stets die heimische Landschaft von Nordschleswig nahe der dänischen Grenze gemalt.
Emil Nolde wurde 1867 als Sohn eines Bauern im Dorf Nolde nahe Tondern geboren; den Geburtsnamen Hans Emil Hansen ändert er 1901 in den Namen seines Heimatdorfes. Obwohl er wie seine drei älteren Brüder Bauer werden soll, setzt er gegen den Widerstand seines Vaters seinen Wunsch durch, Kunstmaler zu werden. Eine lange Zeit der Wanderjahre führt ihn u. a. nach St. Gallen, München und Berlin. Aber es zieht ihn immer wieder in die heimatliche Landschaft zwischen Nord- und Ostsee zurück, in der er schließlich dauerhaft bleiben wird. 1916 zieht er mit seiner Frau in das kleine Bauernhaus "Utenwarf", wo er Frühjahr und Sommer verbringt, während er in Berlin überwintert. 1926 zieht er dann wenige Kilometer südwärts, wo er eine leerstehende alte Warft und den benachbarten Bauernhof erwirbt. Hier lässt er nach eigenen Entwürfen das Haus "Seebüll" bauen, wo er bis zu seinem Tode 1956 bleiben wird.
Das Göttinger Aquarell "Sonnenuntergang" ist entweder in Utenwarf oder in Seebüll entstanden. Da Nolde seine Aquarelle fast niemals datiert hat, ist eine genaue zeitliche Einordnung schwierig. Thema, Format und Technik des Blattes verweisen jedoch in die 1920er Jahre. Sein großzügiges Format (34,5 x 47,9 cm) signalisiert schon durch das äußere Maß den Anspruch des vollgültigen Bildes, das gleichberechtigt neben den Ölbildern steht.
Nolde beobachtete und malte "seine" Landschaft, etwa das Gleichmaß der Gezeiten und die sich ständig wandelnden Farben von Himmel und Wasser. Auf unserem Blatt berührt der rotglühende Ball der untergehenden Sonne am Horizont einen schmalen, dunkelblauen Streifen Meeres. Ebenfalls auf der Horizontlinie duckt sich ein niedriges Friesengehöft in die flache, endlose Landschaft. Der gelbglühende Vordergrund des überschwemmten Marschlandes wird nur von zwei Gruppen grünen Schilfs unterbrochen. Nolde hat die Komplementärfarben Rot/Grün und Gelb/Blau nebeneinandergesetzt, um die Intensität und Leuchtkraft der Grundfarben nochmals zu steigern: Die Farbe feiert Triumphe. Dabei überschwemmt er das dünne Japanpapier mit seinem breiten, triefnassen Pinsel so sehr mit Farbe, bis das saugfähige Papier durch und durch getränkt ist und auch auf seiner Rückseite kräftig leuchtet.