Kunstwerk des Monats im August 2012

05. August 2012
Paul Meyerheim - Realistische Tiermalerei zwischen Akademie und Avantgarde
Vorgestellt von: Verena Suchy

Im Bereich der Gattungshierarchie präsentiert sich das 19. Jahrhundert als Feld vielfältiger Diskurse, Ausdifferenzierungen und Auflösungserscheinungen. Insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kristallisierte sich neben dem klassischen Gattungskanon bestehend aus Historie, Genre, Portrait, Landschaft und Stillleben eine Vielzahl kleinerer Spezialgattungen heraus. Eine von ihnen ist die Tiermalerei.

Erst spät als eigenständige Gattung anerkannt und akademisch institutionalisiert avancierte die Tiermalerei doch schnell zum Publikumsliebling und zu festen Größe in Kunsthandel und Ausstellungswesen.


Ein herausragender Vertreter dieser Gattung ist dabei der Berliner Maler Paul Meyerheim (1842-1915). Sein Gemälde Tauben auf dem Dach repräsentiert die Tiermalerei des 19. Jahrhunderts in der Göttinger Universitätskunstsammlung.
Paul Meyerheim zählt neben seinem Freund und Vorbild Adolf Menzel zu den wichtigsten Vertretern des sogenannten Berliner Realismus. Vor allem durch seinen pastosen Farbauftrag und seine stark naturalistische Malweise grenzt er sich von dem traditionell an der Berliner Akademie vorherrschenden Idealismus in der Kunst ab. Meyerheims Malweise und Kunstauffassung wurde zudem in der Schule von Barbizon geschult und von den französischen Realisten – allen voran Gustave Courbet – geprägt. Auch das Göttinger Bild Tauben auf dem Dach zeichnet sich durch eine starke Materialität des Farbauftrages und eine ungewöhnlich realistische Motivgestaltung aus. Es zeigt eine Szene von beinahe banaler Alltäglichkeit. Auf einem stark angeschnittenen Ziegeldach haben sich mehrere unterschiedlich gefiederte Tauben in Zweiergruppen niedergelassen. Weitere Tauben befinden sich im Anflug auf das Dach. Die lockere Pinselführung lässt zunächst an eine Ölskizze denken, jedoch ist es wegen des ungewöhnlich extremen Querformates und der auf Untersicht gearbeiteten Perspektive wahrscheinlicher, dass das Bild Bestandteil einer Wanddekoration war.
Trotz – oder gerade wegen – des scheinbar trivialen Motivs handelt es sich bei Paul Meyerheims Tauben auf dem Dach um ein außerordentlich vielschichtiges Bild, das die künstlerischen Ziele, Ideale und Gestaltungsmittel Paul Meyerheims auf ideale Weise verdeutlicht. Zudem lassen sich an seinem Beispiel Diskurse und Prozesse abbilden, die zur Überwindung überkommener akademischer Traditionen und zur Etablierung avantgarde-realistischer Strömungen im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts führten.