Kunstwerk des Monats im Juli 2009


05. Juli 2009
"Selbstbildnis" von Lovis Corinth, 1919
Vorgestellt von: Prof. Dr. Werner Schnell

Lovis Corinth: SelbstbildnisSelbstbildnisse haben etwas Faszinierendes, weil man sich durch sie dem Künstler so nahe zu fühlen glaubt wie nie sonst, unterstellt man ihnen doch ein Höchstmaß an Authentizität, glaubend, das Selbstporträt sei anschaulich gewordene Selbsterkenntnis. Das ist eine moderne Vorstellung, die die lange Geschichte der Selbstbildnisse im Kampf um die Nobilitierung des gesellschaftlichen Status geflissentlich übersieht.

Doch für die zahllosen Selbstbildnisse Lovis Corinths (1858-1925), die von seinem Selbstverständnis als Freimaurer nicht zu trennen sind, ist diese Einschätzung so falsch nicht. Neben 42 Gemälden, gibt es mehr als hundertvierzig Zeichnungen und zahlreiche Lithographien und Radierungen, die er mittels Spiegel schuf, oder aus dem Wissen um dieses Spiegelbild formte. Darunter finden sich Selbstbildnisse, in denen sich Corinth als wehrhaften Ritter, Bacchus oder als modernen Rembrandt entwarf. Immer wieder aber zeigte er sich als Maler und Zeichner beim Arbeiten. Zu dieser Gattung gehören drei 1909, 1912 und 1913 geschaffene Radierungen (Schwarz, Nr. 34, 84, 113) unserer Kunstsammlung, wenngleich sich Corinth auch in diesen Graphiken auf den Kopf konzentrierte. Den Stift oder die Nadel führende Hand und das Blatt oder die Platte deutete er nur an. Dadurch unterstrich er, dass künstlerische Arbeit nicht Ergebnis einer absoluten Virtuosität und Fingerfertigkeit ist, sondern aus einer Kraftkonzentration von Auge, Gefühl und Verstand in unlösbarer Interdependenz resultiert.

Insofern ist das 1980 als Geschenk von Ursula und Wolfgang Stechow in die Kunstsammlung gekommene, von Corinth 1919 mit Lithokreide aufs Papier gebrachte >Selbstbildnis< mit der Betonung der Augenpartie im wahrsten Sinne ein Künstlerporträt, obwohl, oder gerade weil es den Künstler ohne jedes Werkzeug beim Schauen zeigt, wie auch in einer anderen Lithographie von 1920 (Müller, Nr.464) aus der Kunstsammlung und einer Radierung, 1923 (Müller, Nr. 679), aus Privatbesitz, die zum Vergleich herangezogen werden, um anschaulich zu machen, wie frei der Künstler mit den Proportionen seines Kopfes umging, um "die Sucht, sich selbst kennen zu lernen", wie er selbst 1908 bekannte, zu befriedigen.