Kunstwerk des Monats im September 2011
04. September 2011
Erich Heckel: Aquarelle und Druckgraphiken 1910-1955
Vorgestellt von: Rudolf Krüger
Zu den Schätzen, die das Kupferstichkabinett der Göttinger Universitäts-Kunstsammlung bewahrt, gehören ein Aquarell und sechs Druckgraphiken von Erich Heckel (1883-1970), der 1905 zu den Mitbegründern der Dresdner Künstlergemeinschaft „Brücke“ gehörte. Von keinem anderen „Brücke“-Künstler besitzt die Göttinger Sammlung so viele Werke wie von Heckel. Als Chemnitzer Gymnasiast dachte Heckel zunächst daran, Schriftsteller zu werden. Doch mit der Aufnahme eines Architekturstudiums in Dresden fiel die Entscheidung gegen die Dichtung. Freilich wurde aus ihm auch kein Architekt, sondern ein autodidaktischer Maler und Graphiker, der sein tiefes Interesse für Dichtung jedoch stets beibehielt.
Die „Brücke“-Künstler traten 1905 an, die Kunst zu revolutionieren. Gemeinsam mit seinen Architektur-Kommilitonen Ernst-Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff malte Heckel Bilder in einem dynamischen, pastosen Duktus mit kräftigen, glühenden Farben. Der deutsche Expressionismus war geboren. Heckel war im Unterschied zu den meisten anderen Mitgliedern der Gruppe – zu der auch Max Pechstein, Otto Mueller und Emil Nolde hinzustießen – von ausgleichender, diplomatischer und kommunikativer Art. Er war es, der den Kontakt zu Kunsthistorikern, Galeristen und Sammlern herstellte. Als Geschäftsführer der „Brücke“ war er die treibende Kraft der Gruppe. Eine von ihm organisierte Wanderausstellung mit Gemälden und Graphiken führte durch mehr als 60 Städte. Für ein paar Wochen des Jahres 1907 machte diese Ausstellung auch in Göttingen Station.
Nach der Auflösung der „Brücke“ 1913 und traumatischen Kriegserlebnissen als Sanitäter in Flandern stand Heckel 1918 vor einem künstlerischen Neubeginn.
Die einstmals so ungestüme Bildsprache beruhigte und glättete sich: die frühere Buntheit komplementärer Kontraste wich nun einem zarteren Kolorit, die gelegentlich prismatische Struktur wurde durch eine ruhigere, geradezu „klassizistische“ Form abgelöst. Viele Bilder wurden nun von einem lyrischen Grundton durchzogen. Seit 1911 in Berlin ansässig, verbrachte Heckel als Ausgleich zur lärmenden Großstadt bis 1944 jeden Sommer in Osterholz an der Flensburger Förde. In diesem von der Zivilisation weitgehend unberührten Refugium nahe der Ostsee hatte Heckel ein Bauernhaus erworben, dessen Dachgeschoß er als Atelier nutzte. Hier entstanden neben Gemälden hauptsächlich Aquarelle, vielfach Blumenstücke und andere Stilleben, aber auch Bildnisse und Landschaften.
Ein solches in Osterholz entstandenes, „Dahlien“ betiteltes Aquarell aus dem Jahre 1927 zeigt ein Blumenstilleben mit Figuren. Es ist mit Wasser- und Deckfarben über einer Bleistift- und Tuschpinselzeichnung gemalt und präsentiert einen Strauß weißer und gelber Dahlien in einem Krug. Neben diesem Krug steht auf der nur angedeuteten runden Tischplatte eine geschnitzte Figur, die nach rechts aus dem Bild zu verschwinden scheint. So weit entsprechen die Motive dem eines üblichen Stillebens. Doch was bedeutet die männliche Figur im Hintergrund, deren Kopf über die Blütenblätter der Dahlien ragt? Ist es ein lebendiger junger Mann in einer Gebirgslandschaft, der durchs Fenster hereinschaut? Heckel verunsichert den Betrachter, indem er menschliche Figuren in seine Blumenstücke einbaut. Hier handelt es sich um eine von Heckel selbst angebrachte Wandmalerei in seinem Osterholzer Atelier, die häufig als Hintergrund seiner Bilder diente. Dieses Aquarell sowie einige Holzschnitte, Radierungen und Lithographien der Jahre 1910-1955 werden in der Universitäts-Kunstsammlung präsentiert.