Kunstwerk des Monats im Februar 2009
02. Februar 2009
"Das Schweißtuch der Veronika" von Claude Mellan, 1649
Vorgestellt von: Prof. Dr. Thomas Noll
Wie die (noch heute vorgewiesene) "vera icon" in St. Peter nicht die Leidenszüge Christi zeigt, so stand das Veronika-Bild zunächst noch nicht im Zusammenhang mit dem Passionsgeschehen; erst um 1300 wurde seine Entstehung in der von Fabri geschilderten Weise an die Begegnung Christi mit Veronika auf dem Kreuzweg geknüpft. Vielfach ist diese Szene seit dem späten Mittelalter verbildlicht worden.
Zu den berühmtesten Darstellungen nur allein des "Schweißtuchs der Veronika" (sudarium) gehört ein 1649 von Claude Mellan (1598-1688) geschaffener Kupferstich, der zugleich ein Beispiel bietet für den Hochstand, den die graphischen Künste in Frankreich im Laufe des 17. Jahrhunderts erreichten. Mellan, der - nach einem langjährigen Romaufenthalt - in Paris hauptsächlich als Graphiker tätig war und insbesondere Porträts schuf, bezeichnet seinen Stich mit den Worten: "Formatur unicus una / non alter". Gestaltet ist der Einzige - Christus, der als menschgewordener Gottessohn nicht seinesgleichen hat -, und kein anderer, durch eine (una) - gemeint ist: durch eine einzige Linie (linea). Claude Mellan formt die stofflich und in den Tonwerten fein nuancierten Züge Christi auf dem Schweißtuch vermittels einer einzigen, von der Nasenspitze, im Zentrum des Kupferstichs, spiralförmig ausgehenden Linie. Allein durch die Taillierung, das An- und Abschwellen dieser einen (damit dunklere und hellere Tonwerte schaffenden), in Parallelen geführten Linie, tritt das Antlitz Christi in die Erscheinung.
Nicht ohne Kritik blieb (vormals und heute) eine solche Virtuosität oder Artistik, die hier die Einzigartigkeit des Dargestellten - des Bildinhalts - mit der Einzigkeit der Linie - des Bildmittels - spitzfindig in Beziehung setzt. Doch in demselben Jahr, 1649, in dem Mellans Blatt entstand, widersprach der Künstlerkollege und Theoretiker Abraham Bosse diesem Urteil. Auch wenn Stiche, die nur eine einfache Schraffur (une seule hacheure) - also keine Kreuzstrichlagen - aufweisen, von vielen getadelt würden, ändere das nichts daran, "daß man damit wunderbare und dem Auge außerordentlich wohlgefällige Werke hervorbringen kann".