Kunstwerk des Monats im Mai 2015
03. Mai 2015
Raffaels Haus im Borgo
Vorgestellt von Amelie Baader, B.A.
Der bei Antonio Lafreri 1549 verlegte Kupferstich "Raffaels Haus im Borgo" ist Teil des Speculum Romanae Magnificentiae, einer zunächst 107-teiligen Serie von Kupferstichen aus der Werkstatt Lafreris über die Sehenswürdigkeiten und bedeutendsten Bauwerke Roms. Lafreri verlieh dem Kupferstich die Inschrift "Raph. Urbinat [...] exstructum", mit der er nahelegte, Raffael hätte sich im Borgo selbst einen Palast entworfen und errichtet. Damit entfachte Lafreri einen Mythos, der bis Ende des 19. Jahrhundert standhielt. Der in der Ausstellung "Sterbliche Götter - Raffael und Dürer in der Kunst der Romantik" befindliche Kupferstich zeigt nämlich nicht, wie die Inschrift verlauten lässt, das selbst entworfene Künstlerhaus Raffaels, sondern einen von Bramante erbauten Palast, den die Patrizierfamilie Caprini bereits im Jahre 1501 in Auftrag gegeben hatte. Die Idee, Raffael habe sich selbst einen Palast entworfen und von Bramante errichten lassen, fügt sich ideal in das Bild des autonomen Künstlerfürsten ein, der eine hohe gesellschaftliche Stellung genießt und sich seiner Kundschaft in einem Palastbau angemessen präsentieren kann.
Erst Ende des 19. Jahrhunderts bewies der Kunsthistoriker Domenico Gnoli, dass Raffael den Palast 1517 von der Caprini-Familie erwarb und dort bis zu seinem Tod im Jahr 1520 lebte. Dieser Irrtum über die Baugeschichte des Palazzo Caprini führte bereits im 16. Jahrhundert zu einer Verehrung des Palastes und zu dem Kult um das mögliche Sterbezimmer Raffaels. Gnoli dokumentierte, dass selbst nach Umbau des Palastes der Balkon des Sterbezimmers in Andenken an Raffael beibehalten wurde. Bis zum Abriss des Gebäudekomplexes Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich der Balkon noch immer an der ursprünglichen Stelle und bewahrte so die Erinnerung an Raffaels letzten Wohnsitz.
Während Raffaels Palast im Borgo Ansehen und Wohlstand des päpstlichen Hofkünstlers repräsentieren sollte, galt die sich im Park der Villa Borghese befindliche "Villa Raffael", die 1828 von Oesterley in einer Zeichnung festgehalten wurde, traditionell als privates Landhaus und Liebesnest Raffaels. Aufgrund der Verknüpfung mit dem Namen des geschätzten Künstlers sowie durch die günstige Lage abseits des städtischen Treibens, rief die "Villa Raffael" eine große Begeisterung bei den Künstlern des 18. und 19. Jahrhunderts hervor und wurde immer wieder von Romreisenden gezeichnet. Die "Villa Raffael" ist jedoch wohl nie von Raffael bewohnt worden, sondern galt als repräsentative Villa der Familie Olgiati aus Como, die sich im 16. Jahrhundert in Rom niedergelassen hatte.