Kunstwerk des Monats im April 2016


03. April 2016
Lesung: Das Universitätsmamsellen-Lesebuch - Fünf gelehrte Frauenzimmer, vorgestellt in eigenen Werken
Gelesen von Dr. Ruth Finckh, Roswitha Benedix, Petra Mielcke, Ortrud Schaffe-Ottermann und Dagmar von Winterfeld

mamsellenBei dem von Ruth Finckh heraus­gegebenen "Universitäts­mamsellen-Lese­buch", das im De­zember 2015 im Göttinger Universitäts­verlag er­schienen ist, handelt es sich um eine kommentierte Anthologie von aus­gewählten Frauen­texten der Goethe­zeit. Der Unter­titel gibt genaueren Auf­schluss: "Fünf gelehrte Frauen­zimmer, vorgestellt in eigenen Werken". Die fünf Autor­innen, die hier präsentiert werden, sind Philippine Gatterer (später Engelhard), Caroline Michaelis (später Schlegel und Schelling), Therese Heyne (später Huber), Meta Wedekind (später Forkel und Liebeskind) und Dorothea Schlözer (später Rodde-Schlözer).

Zusammen wuchsen die fünf als Professoren­töchter in Göttingen auf und genossen eine für ihre Zeit außer­gewöhnliche Bildung, sodass sie der Nach­welt als "Göttinger Universitäts­mamsellen" be­kannt wurden. Als Erwachsene wandten sie sich der Literatur zu und ver­öffentlichten eigen­willige Gedichte, Abenteuer­romane, Essays, Über­setzungen und Reise­berichte. Dazu kam eine um­fangreiche Korrespondenz mit den interessantesten Per­sönlichkeiten ihrer Zeit.

Auch ihre eigenen Lebens­läufe waren faszinierend: Drei der Frauen wurden 1792 gemeinsam in die Turbulenzen der französischen Re­volution und der "Mainzer Republik" ver­wickelt und wegen revolutions­freundlicher Äußerungen ver­folgt; fast alle erlebten Scheidungen, dramatische Liebes­konflikte und den Tod mehrerer Kinder. Daher überrascht es nicht, dass heute einige bio­graphische Werke über die Universitäts­mamsellen verfügbar sind. Erstaunlich erscheint es aber, dass ihre eigenen literarischen Äußerungen bisher kaum in moderner Druck­fassung vorliegen. Wenn überhaupt Editionen ver­anstaltet wurden, dann nur als Einzel­ausgaben oder als Reprint; teil­weise schlummern die Texte noch in seltenen Original­drucken des 18. Jahr­hunderts. Was bisher voll­ständig fehlt, ist eine Anthologie, die das Schaffen dieser fünf begabten Schrift­stellerinnen in einer re­präsentativ zusammen­gestellten kommentierten Aus­wahl vor­stellt. Diesem Mangel will das "Universitäts­mamsellen­-Lesebuch" ab­helfen.

Es entstand in einem über­raschenden Umfeld: Im Rahmen eines Senioren­-Seminars unter der Leitung von Dr. Ruth Finckh an der "Universität des Dritten Lebens­alters" Göttingen fand sich eine Gruppe von vier Senior­enstudent­innen zusammen, die gemeinsam mit der Dozentin den Beschluss fasste, den Werken der Universitäts­mamsellen Gerechtigkeit wider­fahren zu lassen. Dafür arbeiteten sich die Seniorinnen (durchweg ohne Forschungserfahrung) in wissenschaftliche Recherche­-Methoden, Fein­heiten der Text­verarbeitung, Tücken der Goethezeit-­Rechtschreibung und vieles andere ein. Als Ergebnis unermüdlicher dreijähriger Anstrengungen durch fünf moderne "gelehrte Frauenzimmer" liegt nun diese illustrierte Anthologie von 350 Seiten vor. Auf eine aus­führliche kultur­geschichtliche Ein­leitung folgen fünf Einzel­abschnitte mit Texten von jeweils einer der "Mamsellen", ein­geleitet durch eine Kurz­biographie und ein meist farbiges Porträt. Zahl­reiche Fuß­noten erläutern alter­tümliche Begriffe, bio­graphische Bezüge, aber auch historische Zusammen­hänge. Dann folgt ein Personen­verzeichnis, das einige prominente Zeit­genossen, die mit mehreren der Mamsellen in Kontakt traten, durch bio­graphische Miniaturen vorstellt. Den Abschluss bildet ein Anhang mit einem liebe­voll illustrierten Göttinger Stadt­rundgang "auf den Spuren der Mamsellen".