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Presseinformation: Wissenschaftler zeigen: Auch Tiere verfügen über die Fähigkeit zu kausalem Denken

Nr. 59/2006 - 16.02.2006

Forschergruppe aus Deutschland und den USA präsentiert Ergebnisse aus Experimenten mit Ratten
(S p e r r f r i s t: Donnerstag, 16. Februar 2006, 20 Uhr)
(pug) Nicht nur Menschen verfügen über die Fähigkeit zu kausalem Denken, auch Tiere haben offenbar ein tieferes Verständnis von Kausalität: So sind Ratten in der Lage, nach passiver Beobachtung aufeinander folgender Ereignisse korrekte Vorhersagen über die Folgen eigener Handlungen zu treffen, auch wenn sie diese nie zuvor ausprobieren konnten. Das hat eine internationale Forschergruppe um die Psychologen Prof. Dr. Aaron Blaisdell von der University of California in Los Angeles (USA) und Prof. Dr. Michael Waldmann von der Universität Göttingen nachgewiesen. Prof. Waldmann: „Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass Tiere erlebte Abfolgen lediglich dazu nutzen, um Assoziationen zwischen Ereignissen und deren Auswirkungen zu bilden. Damit schien das Verstehen kausaler Zusammenhänge eine Kompetenz zu sein, über die allein der Mensch verfügt. Unsere experimentellen Studien zeigen, dass diese These nicht mehr haltbar ist.“ Über erste Ergebnisse ihrer Forschungen berichten die Wissenschaftler im Magazin „Science“ vom 17. Februar 2006.
Die Fähigkeit, künftige Ereignisse vorherzusagen, gehört zu den fundamentalen Fähigkeiten von Menschen und Tieren, ohne die sie nicht überleben können. Dabei hat der Physiologe Iwan Pawlow mit seinen Studien an Hunden gezeigt, dass Tiere in der Lage sind, assoziative Beziehungen - zum Beispiel zwischen Tönen und Futter - für Vorhersagen zu nutzen. Die Wissenschaftler in Göttingen und Los Angeles sind nun der Frage nachgegangen, ob Tiere auch ein tieferes Verständnis von Kausalität besitzen. Angestoßen wurden ihre Forschungen durch Vorarbeiten von Statistikern und Philosophen zur mathematischen Analyse kausaler Systeme, so genannter kausaler Bayes-Netze. „Wir sind in unseren Untersuchungen davon ausgegangen, dass Assoziationen häufig irreführend sind und nur gelegentlich die Kausalität der Welt widerspiegeln“, erläutert Prof. Waldmann. „Barometer können dazu genutzt werden, um Vorhersagen des Wetters zu treffen, ohne dass diese technischen Geräte aber Ursache der Wetterentwicklung sind. Manipulationen des Barometers haben keinen Einfluss auf das Wetter.“
„Diese Unterscheidung zwischen kausalen und statistischen Beziehungen ist wesentlich für ein Verständnis von Kausalität. Wir wollten dabei herausfinden, ob auch Ratten zwischen solchen Zusammenhängen unterscheiden können“, betont der Göttinger Wissenschaftler. Dazu wurden in Los Angeles mehrere Untersuchungen durchgeführt. In einem ersten Experiment beobachteten Ratten in einer Lernphase, dass ein Lichtreiz regelhaft gefolgt war sowohl von einem Ton als auch von Futter. Das Licht war also gemeinsame Ursache für zwei Effekte. Wurde den Ratten in der anschließenden Testphase der Tonreiz allein dargeboten, dann erwarteten sie Futter und suchten dies an der Stelle, an der sie es zuvor erhalten hatten. „Diese Lernleistung deutet jedoch noch nicht zwingend auf kausales Denken, sie könnte auch Ausdruck assoziativen Lernens sein“, so Prof. Waldmann, der am Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie die Abteilung Handlungspsychologie und Forschungsmethoden leitet.
Um die Unterscheidung zwischen Assoziationen und Kausalität zu überprüfen, setzten die Wissenschaftler einen zweiten Test ein: In den Käfig der Tiere legten sie einen Hebel, den diese zuvor nie gesehen hatten. Wenn die Ratten gelegentlich aus Neugier darauf drückten, wurde zu ihrer Überraschung wieder der Tonreiz dargeboten. Prof. Waldmann: „Assoziationstheorien würden nun vorhersagen, dass die Tiere erneut nach Futter suchen sollten, weil der Ton in der Lernphase mit Futter assoziiert war.“ Tatsächlich verhielten sich die Ratten in diesem Fall jedoch anders. „Die Tiere schlossen korrekt, dass sie selbst die Ursache des Tonreizes waren und nicht das Licht. Deshalb erwarteten sie auch kein Futter“, erläutert der Psychologe und zieht einen Vergleich heran: „Ist der Rasen vor unserem Haus nass, schließen wir auf Regen und einen nassen Rasen des Nachbarn. Diesen Schluss würden wir jedoch nicht treffen, wenn wir die Bewässerungsanlage angeschaltet haben.“
In einem zweiten Experiment haben die Wissenschaftler eine Situation untersucht, in der die auf Beobachtungen beruhenden Vorhersagen identisch ausfallen sollten mit denen, die aus eigenen Handlungen resultieren. In dieser Testkonstellation lernten die Ratten, dass in einer kausalen Kette der Ton das Licht vorhersagte und dem Licht anschließend das Futter folgte. Daraufhin erwarteten die Tiere eine Futterportion unabhängig davon, ob sie den Ton einfach passiv hörten oder ihn durch Hebeldruck selbst erzeugten. Wie Prof. Waldmann erläutert, konnten die Ratten also korrekt zwischen verschiedenen Kausalmodellen unterscheiden. „Diese Befunde sind nicht durch Assoziationstheorien erklärbar, sie stimmen aber überein mit den Vorhersagen kausaler Bayes-Netze. Die These, dass kausales Denken nur Menschen vorbehalten ist, lässt sich damit nicht mehr halten.“
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Michael Waldmann
Georg-August-Universität Göttingen
Biologische Fakultät
Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie
Goßlerstraße 14, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 39-3784, Fax (0551) 39-3656
e-mail: michael.waldmann@bio.uni-goettingen.de
Internet: www.psych.uni-goettingen.de/abt/1/waldmann