In publica commoda

Presseinformation: Ungarische Schätze Göttingens: Handschrift aus dem 15. Jahrhundert

Nr. 102/2006 - 28.03.2006

Staats- und Universitätsbibliothek zeigt Buchraritäten in einer Ausstellung in Berlin
(pug) Acht große Kapitel umfassen die naturphilosophischen Überlegungen, die der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus formuliert hat: Eine lateinische Fassung dieser „Vorlesungen des Aristoteles über die Natur oder zur Physik“ wurde um 1460 in Italien niedergeschrieben: Die Pergamenthandschrift gehörte zu der Bibliothek des bibliophilen ungarischen Königs Matthias Corvinus (1443 bis 1490) und ist das wertvollste Exponat einer Ausstellung mit dem Titel „Ungarische Schätze Göttingens“, die derzeit in der Botschaft der Republik Ungarn in Berlin zu sehen ist: Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) präsentiert dort noch bis zum 6. April 2006 Buchraritäten aus ihrem Bestand an historischer und aktueller Literatur aus und über Ungarn, der größten Sammlung dieser Art in Deutschland. Thementafeln geben zudem Aufschluss über die vielfältigen Beziehungen, die bereits seit dem 18. Jahrhundert zwischen Göttingen und Ungarn bestehen. Die Ausstellung, die das Finnisch-ugrische Seminar der Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit der SUB realisiert hat, ist ein Beitrag zum Ungarischen Kulturjahr 2006.
Die in der Zeit der Aufklärung gegründete Georg-August-Universität Göttingen war schon früh ein beliebtes Ziel für Studierende aus Ungarn. Gleichzeitig gewann die ungarische Kultur an der Georgia Augusta rasch an Wertschätzung: Die Sammlung von Literatur bildete dabei von Anfang an einen Schwerpunkt im Erwerbungsprogramm der Göttinger Universitätsbibliothek. Seit 1949 wird diese Tradition mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft systematisch fortgesetzt. So betreut die SUB seit 1951 für ganz Deutschland das Sondersammelgebiet Finnougristik und verfügt inzwischen über einen Bestand von mehr als 100.000 Bänden. In der Abteilung Handschriften und Alte Drucke werden dabei auch zahlreiche Raritäten aufbewahrt, so die Thuróczy-Chronik. Diese Inkunabel aus dem Jahr 1488 ist ebenfalls in Berlin zu sehen.
Der Corvina-Kodex mit den Vorlesungen des Aristoteles ist nach dem ungarischen König Matthias Corvinus benannt: Seine Bibliothek war im ausgehenden Mittelalter eine der größten Privatsammlungen ihrer Zeit und bestand fast ausschließlich aus wertvollen illuminierten Renaissance-Handschriften, aber nur wenigen gedruckten Büchern. Die Blüte der Bibliothek begann mit der Vermählung des Königs mit der kunstsinnigen Beatrix von Aragón. Boten sollten in Italien, Griechenland und Kleinasien die Handschriften klassischer Autoren sowie syrischer und hebräischer Schriftsteller aufkaufen. Nach dem Tod des Königs wurde der Bestand stark dezimiert. In 33 Bibliotheken Europas sind heute noch 107 lateinische Handschriften bekannt, die auf die Bibliotheca Corviniana zurückzuführen sind. Nach ihrem Besitzer werden sie „Corvinen“ genannt.
Nach Angaben von Dr. Helmut Rohlfing, Leiter der Abteilung Handschriften und Alte Drucke an der SUB, gelangte die Handschrift mit den Aristoteles-Vorlesungen im 16. Jahrhundert in den Besitz einer Familie von Haym in Reichenstein in Österreich. Mehr als 200 Jahre später gab der Göttinger Bibliotheksdirektor Christian Gottlob Heyne eine schriftliche Beurteilung ab. In einem Brief vom 22. Februar 1782 an den damaligen Besitzer, den Fürsten Georg zu Waldeck und Pyrmont, nahm er zu dieser Corvine Stellung. Der Fürst, der in Arolsen bei Kassel residierte, machte sie 1794 der Königlichen Universitätsbibliothek Göttingen zum Geschenk. Im Handschriften-Katalog findet sich die Bemerkung: „Der Hauptwerth der Handschrift besteht in ihrer Ausstattung und ihrer Geschichte.“ Auffällig ist die Gleichmäßigkeit und Genauigkeit der Schrift. Sie lässt erst beim genaueren Hinsehen erkennen, dass es sich nicht um gedruckte, sondern um geschriebene Buchstaben handelt. Auf dem ersten Textblatt findet sich eine aufwendig gemalte Zierleiste, in einer unteren Leiste prangt das Wappen des Königs, umgeben von den Buchstaben M und A für „Matthias Augustus“.
Die Ausstellung „Ungarische Schätze Göttingens“ wird bis zum 6. April 2006 in der Botschaft der Republik Ungarn (Unter den Linden 76) in Berlin gezeigt. Sie ist montags bis donnerstags von 13 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Hinweis an die Redaktionen:
Ein Foto kann im Internet unter gdz.sub.uni-goettingen.de/download/corvine abgerufen werden.
Kontaktadresse:
Irén Rab
Georg-August-Universität Göttingen
Philosophische Fakultät
Finnisch-ugrisches Seminar
Theaterstraße 14, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 39-4588, Fax (0551) 39-14213
e-mail: irab@gwdg.de
Internet: www.finnougristik.uni-goettingen.de