Presseinformation: Rückgang von Bestäuberarten gefährdet Produktion und Erträge von Kulturpflanzen
Nr. 338/2006 - 27.10.2006
Forscher: Ohne die Bestäubung von Insekten ist die Vielfalt menschlicher Nahrung nicht gewährleistet
(pug) Produktion und Vielfalt von Kulturpflanzen sind durch einen Rückgang vieler Bestäuberarten gefährdet, denn weit mehr als ein Drittel dieser Pflanzen ist auf die Bestäubung von Insekten, etwa wildlebenden Bienen, angewiesen. Mit der Zerstörung naturnaher Lebensräume und einer Intensivierung der Landwirtschaft werden diesen Tierbestäubern zunehmend die Lebensgrundlagen entzogen. Zu dieser Erkenntnis kommen Forscher aus Deutschland, darunter Agrarökologen der Universität Göttingen, sowie Experten aus Frankreich, Australien und den USA. Sie haben wissenschaftliche Arbeiten zu den 115 weltweit wichtigsten Kulturpflanzen aus über 200 Ländern analysiert und konnten daraus ermitteln, welcher Anteil ihrer Erträge direkt von Bestäubern abhängt. Die Ergebnisse werden jetzt in einem Übersichtsartikel in den „Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences“ vorgestellt, nachdem in einer in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie der parallele Rückgang von Wildbienen und den von ihnen bestäubten Wildpflanzen nachgewiesen werden konnte.
Wie die Göttinger Agrarökologin Dr. Alexandra-Maria Klein erläutert, gab es bislang nur grobe Schätzungen, wie viele der für die menschliche Ernährung wichtigen Kulturpflanzen von der Tierbestäubung abhängen. Nach den nun vorliegenden Forschungsergebnissen profitieren 87 der 115 untersuchten Obst-, Gemüse, Gewürz-, Öl- und Genusspflanzen von Bestäubern, zumeist Bienen und Hummeln. Dies betrifft mehr als 35 Prozent der Kulturpflanzenproduktion. Bei den meisten dieser Pflanzen führt Tierbestäubung zu Produktionssteigerungen von fünf bis zu 50 Prozent. „Ohne die Bestäubung durch Insekten wäre die Vielfalt menschlicher Nahrung nicht gewährleistet, auch wenn die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Reis und Mais davon nicht abhängig ist“, so Dr. Klein. Nur wenige Kulturpflanzen tragen ausschließlich Früchte, wenn Bestäuber verfügbar sind oder der Mensch die Pflanzen per Hand bestäubt. Neben Kakao gehören dazu Annona-, Maracuja-, Kiwi- und Sapodillafrüchte, Vanille, verschiedene Kürbissorten, Wassermelonen sowie Para- und Macadamianüsse.
Auf welche Weise sich die Zerstörung naturnaher Lebensräume und die Intensivierung der Landwirtschaft auf das Vorkommen wildlebender Bienen, Hummeln und anderer Insektenbestäuber auswirkt, konnte das Wissenschaftlerteam anhand von verschiedenen Studien zeigen: Sie wurden an neun Kulturpflanzen auf vier Kontinenten durchgeführt. Mit dem Rückgang der natürlichen Bestäuber können dabei weitreichende Folgen verbunden sein, wie Dr. Klein am Beispiel des Maracuja-Anbaus in Brasilien deutlich macht: Hier werden die Pflanzen per Hand durch Tagelöhner oder Familienmitglieder bestäubt, weil der Einsatz von Insektiziden und die Vernichtung des Regenwaldes die Lebensgrundlagen der großen Holzbienen bedroht. „Viele Menschen in den brasilianischen Städten können sich diese teuer angebauten Früchte ebenso wie Gemüse nicht leisten und ernähren sich vorwiegend von billigem Zucker, Fleisch und Ölen. Diese unausgewogene Ernährung führt oft zu Übergewicht“, erläutert Dr. Klein.
Die Wissenschaftler fordern als Konsequenz ihrer Forschungsergebnisse eine naturnahe Gestaltung von Kultur- und Agrarlandschaften. Um wichtige Ökosystemleistungen, zu denen auch die Bestäubung von Pflanzen gehört, langfristig zu erhalten, ist nach den Worten von Prof. Dr. Teja Tscharntke eine ganzheitliche Perspektive erforderlich. „Eine große Artenvielfalt von Bestäubern kann nicht allein durch Maßnahmen auf den Feldern oder in landwirtschaftlichen Betrieben gewährleistet werden. Wir brauchen vielmehr komplexe Kulturlandschaften, die sorgfältig für eine Vielzahl funktionell wichtiger Organismengruppen bewirtschaftet werden. Nur auf diese Weise lassen sich die für den Menschen wichtigen ,Dienstleistungen‘ des Ökosystems, wie zum Beispiel die Insektenbestäubung oder die biologische Schädlingskontrolle nachhaltig sichern“, betont der Wissenschaftler, der die Abteilung Agrarökologie am Department für Nutzpflanzenwissenschaften der Universität Göttingen leitet.
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