Presseinformation: WiSo-Bibliothek: Bücherreinigung mit Trockeneis und Sauerstoff
Nr. 381/2006 - 22.11.2006
In einer eigenen „Reinigungsstraße“ werden bis zu 4.500 Bände täglich gesäubert
(pug) Mit einer neuen Reinigungstechnologie, bei der Trockeneis und Sauerstoff zum Einsatz kommen, wird der Bücher- und Zeitschriftenbestand der Göttinger WiSo-Bibliothek saniert. Bei einem Schwelbrand im Hauptgebäude der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, der Ende Juli 2006 im so genannten Oeconomicum der Universität Göttingen ausgebrochen war, sind rund 500.000 Bände durch extreme Rauch- und Hitzeentwicklung mit Ruß und Kondensaten verunreinigt worden. Nachdem eine Lösung für die technisch schwierige Bücherreinigung gefunden werden konnte, wurden drei Monate nach dem Brand die Sanierungsarbeiten aufgenommen. In einer eigens aufgebauten „Reinigungsstraße“, die heute der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, werden inzwischen bis zu 4.500 Bände pro Tag durch eine Spezialfirma gesäubert. Universitäts-Vizepräsident Prof. Dr. Joachim Münch und der stellvertretende Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Dr. Rupert Schaab, zeigten sich zuversichtlich, dass die wichtigsten Werke der Fachliteratur bereits bis zum Ende des Jahres wieder für Forschung und Lehre zur Verfügung stehen.
Die Reinigung der zuvor gepressten Bücher erfolgt durch das Bestrahlen mit Trockeneispartikeln: Das gefrorene Kohlendioxid (CO2) mit seinen besonderen kinetischen und thermischen Eigenschaften löst Ruß und Kondensate, wobei sich das Trockeneis beim Aufprall auf die Buchoberfläche in gasförmiges CO2 verwandelt. Die abgelösten Verunreinigungen können dann abgesaugt werden. Je nach Verschmutzungsgrad und Papiersorte wird mit unterschiedlichem Strahldruck und -winkel gearbeitet, um beste Reinigungsergebnisse zu erzielen. Im Strahlraum muss bei geringen Temperaturen die Luftfeuchtigkeit reduziert werden, um die Bildung von Kondenswasser auf den Büchern zu verhindern. Mit Unterdruck gehen die Fachleute gegen die hohe Staubentwicklung vor.
In einem zweiten Schritt bekämpfen die Experten den „Brandgeruch“. Durch eine Erhöhung der Raumtemperatur auf bis zu 40 Grad werden die aufgefächerten Bände zwischen 36 und 48 Stunden zum „Ausgasen“ gebracht. Um den Geruch zu neutralisieren, wird so genannter Singulett-Sauerstoff eingesetzt. Dieses Oxidationsmittel ist sehr effektiv und besitzt eine hohe Reaktionsfähigkeit, ist aber schwächer als Ozon und wird deshalb für empfindliche Materialien genutzt. Damit soll verhindert werden, dass die Einbände spröde werden. Neben Säuberung und Geruchsneutralisation stellt schließlich auch die Logistik eine besondere Herausforderung dar, denn Zeitschriften und Bücher müssen wieder in ihrer ursprünglichen Systematik aufgestellt werden. Derzeit sind täglich 20 Mitarbeiter mit den Reinigungs-, Transport- und Sortieraufgaben beschäftigt.
Wie Dr. Schaab erläutert, war von vielen Fachleuten zunächst bezweifelt worden, dass sich die beschädigten Bücher mit einem vertretbaren finanziellen und organisatorischen Aufwand wiederherstellen lassen. Erst mit dem neuen Reinigungsverfahren, das erstmals für die Sanierung eines Bibliotheksbestandes eingesetzt wird, konnte eine befriedigende Lösung gefunden werden. Eine Neubeschaffung der verunreinigten Werke hätte mehrere Jahre in Anspruch genommen. Inzwischen ist der Zeitschriftenbestand der Wirtschafts- und der Sozialwissenschaften mit rund 60.000 Bänden vollständig gereinigt. Bis Jahresende sollen 115.000 weitere Publikationen – zentrale Werke für Lehre und Forschung – wieder zur Verfügung stehen. Die WiSo-Bibliothek, eine der wichtigsten Einrichtungen ihrer Art in Deutschland, wird im Semester täglich von rund 1.500 Studierenden genutzt.
Informationen zum Stand der Reinigungsarbeiten und zur Benutzbarkeit der WiSo-Bibliothek sowie zum Oeconomicum insgesamt können im Internet unter www.sub.uni-goettingen.de/ebene_1/wiso/aktuell.html.de sowie über die Homepage der Universität unter www.uni-goettingen.de in der Rubrik „Aktuelles“ abgerufen werden.
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