Kunstwerk des Monats im November 2016
06. November 2016
Gillis van Coninxloo: Waldlandschaft mit dem Gang nach Emmaus
Vorgestellt von: Prof. Dr. Thomas Noll
Als Albrecht Dürer auf seiner Reise in die Niederlande am 5. Mai 1521, während eines Aufenthalts in Antwerpen, in seinem sog. Tagebuch notierte, "maister Joachim, der gut landschafft mahler" - gemeint ist Joachim Patinir -, habe ihn zu seiner Hochzeit eingeladen, lieferte er den ersten Beleg für diesen Begriff; Dürer gibt zu verstehen, dass zu diesem Zeitpunkt Landschaften als eigene Gattung in der Malerei begriffen wurden und dass in einer sich ausdifferenzierenden Fachmalerei nunmehr Spezialisten dafür vorhanden waren, die offenbar auf einen Markt für ihre Bilder rechnen durften. Dabei begegnen fein beobachtete Landschaftsdarstellungen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts als Schauplatz oder Hintergrund vor allem von religiösen und profanen Historienbildern. Etwa Jan van Eyck schuf in diesem Zusammenhang Landschaften, die sogar schon vorausweisen auf die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Doch erst im frühen 16. Jahrhundert vollzog sich die Verselbständigung der Landschaftsmalerei; in den Niederlanden, bei Patinir, geschah dies mit panoramatischen "Weltlandschaften", die eine Fülle von Einzelmotiven versammeln und überdies ausgestattet bleiben mit einer religiösen Staffage.
Rasch aber etablierte sich die neue Gattung, und die so enzyklopädische wie synthetische "Weltlandschaft" erfuhr eine Umformung und Ausfächerung in unterschiedliche, je eigene Landschaftstypen. Bei Pieter Bruegel d.Ä., gut eine Generation nach Patinir, finden sich dabei, zunächst in der Druckgraphik, neben Gebirgs- und Flusslandschaften auch die Anfänge eines Typus der Waldlandschaft, den Bruegels zweitgeborener Sohn, Jan Brueghel d.Ä., unmittelbar aufnahm und weiter entwickelte. Als dessen Zeitgenosse und als einer der Hauptvertreter der Waldlandschaft steht neben Jan Brueghel der in Antwerpen 1544 geborene und in Amsterdam 1607 gestorbene Gillis III van Coninxloo, der vormals gar, wenn auch zu Unrecht, als Erfinder der Waldlandschaft betrachtet wurde. In unterschiedlicher Ausprägung schuf er nahsichtige Darstellungen des Walds sowohl mit weiten Aussichten in die Ferne wie als geschlossenes Dickicht, die bald von religiösen oder mythologischen Figuren, bald von zeitgenössischen Gestalten belebt werden.
Neben einer genauen Naturbeobachtung lassen sich damit spezifische Kompositionstypen ausmachen, die zum Teil bis auf Pieter Bruegel zurückreichen und in Parallele stehen zu den Waldlandschaften von Coninxloos Zeitgenossen. Deutlich wird damit, wie die Naturwahrnehmung einer eigengesetzlichen künstlerischen Gestaltung unterworfen bleibt. Zugleich tritt ein Interesse an dem Motiv des Waldes zu Tage, das nicht nur in den Niederlanden, sondern, zuvor schon, auch in Deutschland und Italien vielfach in Malerei und Graphik seinen Ausdruck findet und ein breites Bedeutungsspektrum umfasst.
Für die "Waldlandschaft mit dem Gang nach Emmaus" in der Kunstsammlung der Universität Göttingen, die lange Zeit als Werk aus dem Umkreis des Gillis van Coninxloo galt, war bereits vor kurzem von fachkundiger Seite für eine Autorschaft von Coninxloo selbst plädiert worden. Die nun abgeschlossene Restaurierung des Bildes hat dessen hohe künstlerische Qualität in Gänze und in überraschendem Grad ans Licht gebracht; sie bestätigt eindrucksvoll, dass hier in der Tat ein eigenhändiges Werk dieses bedeutenden Meisters der niederländischen Waldlandschaft um 1600 vor Augen stehen dürfte.