Offener Brief zur E-Lehre der Fachgruppen und Gleichstellungsbeauftragten der Fakultät Biologie und Psychologie

Offener Brief vom 06.04.2020


Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Bührmann,
sehr geehrter Herr Dekan Daniel, sehr geehrter Herr Studiendekan Heineke,
sehr geehrte Geschäftsführende Direktor*innen,
sehr geehrte Mitglieder des Fakultätsrats,
sehr geehrte Hochschullehrende,
liebe Mitglieder der Fakultät für Biologie und Psychologie, liebe Studierende,

die Corona-Krise hat uns alle in ihren Fängen. Innerhalb kürzester Zeit müssen wir uns Herausforderungen stellen, für die sonst 10-Jahres-Pläne erstellt werden. Eine dieser Herausforderungen ist die Umstellung unserer gewohnten Präsenz-Lehre auf digitale Formate - und das innerhalb von wenigen Wochen. Für langsam mahlende Universitätsmühlen also quasi über Nacht.

Viele Menschen arbeiten gerade mit Hochdruck daran, gute Lösungen in diesen herausfordernden Zeiten zu finden durch Sammeln von Konzepten, Koordination von Kapazitäten, Entwickeln von Veranstaltungsplänen oder Bereitstellung der technischen Infrastruktur. Unser Dank gilt allen, die in diesen Tagen durch ihre Arbeit und ihre Ideen das kommende Semester von Grund auf an die neuen Anforderungen anpassen!

Von der Koordination bis hin zu technischer Ausstattung - jede Expertise und Perspektive ist jetzt gefragt. Auch die derjenigen, die aktuell nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Genau aus diesem Grund fordern wir – die Fachgruppen der Biologie und Biodiversität, Biochemie und Psychologie sowie die Gleichstellungsbeauftragten – Transparenz in und Beteiligung an Entscheidungen, die unter Umständen weitreichende Folgen für viele Menschen dieser Fakultät haben.
Konkret fordern wir:

1. Transparenz und Beteiligung
Momentane Entscheidungsprozesse scheinen nach einem „Präsidialsystem“ getroffen zu werden – Gremien und gewählte Vertreter*innen vieler Statusgruppen sowie der Gleichstellung werden vor vollendete Tatsachen gestellt und erhalten Informationen, wenn überhaupt, nur auf Nachfrage oder über informelle Kanäle, und dies selbst dann, wenn die Entscheidung direkt in den Kompetenzbereich des Gremiums fällt (z.B. im Fall der Studienkommission). Dies muss geändert werden. In der Tat, Krisen erfordern schnelles Handeln; Kommunikation und Koordination kosten Zeit. Diese Zeit aufzubringen ist jedoch essentiell: Unsere Fakultät besteht nicht nur aus den aktuellen Entscheidungsträger*innen, sondern aus Menschen aus diversen Statusgruppen und Kontexten. Gerade Gruppen, die diese Krise besonders hart trifft, sind unter den aktuellen Entscheidungsträger*innen unterrepräsentiert und werden flächendeckender Desinformation und damit verbundener Unsicherheit ausgesetzt.
Hierzu zählen: Studierende allgemein, Eltern, Menschen mit nur grundlegenden Digitalkompetenzen und Menschen, die für andere kompensieren müssen. Diese Liste ist nicht erschöpfend.
Wir fordern daher: Gewählte Gremien, alle Statusgruppen sowie die Gleichstellungsbeauftragen sollen von Beginn an in weitreichende Entscheidungen eingebunden werden, so wie es ihnen zusteht. Entscheidungen sowie der Entscheidungsfindungsprozess sollten transparent gemacht werden.

2. Studierbarkeit gewährleisten
Größte Maxime bei allen Entscheidungen sollte sein, dass die Studiengänge weiterhin studierbar sind. Aus diesem Grund lehnen wir eine komplette Verschiebung von Veranstaltungen in das Wintersemester ab.
Es sollten weitestgehend alle Veranstaltungen online angeboten werden – so wie vom Präsidium angekündigt und von den Wissenschaftsministerien1,2 an diesem Wochenende vereinbart.
Ausnahmen hiervon sollten nur Kurse bilden, die nach hinreichender Begründung nicht in einem physisch kontaktlosen Format angeboten werden können. In solchen Fällen sollte in Zusammenarbeit mit der Studierendenvertretung ein alternatives Angebot erarbeitet werden.
Wir fordern daher: Die Studierbarkeit aller Studiengänge muss weiterhin gewährleistet sein. Studierende sollen so viele Kurse wie möglich in diesem Semester belegen können!

3. Mensch vor Technik!
Es ist zu begrüßen, dass viele Dozierende bereits intensiv daran arbeiten, ihre Veranstaltungen in ein digitales Format zu übertragen. Häufig zeigt sich jedoch, dass ein Ansatz verfolgt wird, bei dem „OfflineLehre“ eins zu eins in „Online-Lehre“ übersetzt werden soll. Dass dies gut funktionieren kann, ist ein Trugschluss.
Anstatt eine direkte Übertragung technisch möglich zu machen, appellieren wir an alle Dozierenden, Lehrkonzepte vom didaktischen Ansatz ausgehend zu planen und nicht nur nach den technischen Möglichkeiten. Nur so kann E-Lehre sinnvoll Präsenz-Lehre ersetzen.

Bei der Planung und Durchführung digitaler Lehrkonzepte sollte stets berücksichtigt werden, dass Technik nie Selbstzweck ist, sondern von Menschen in verschiedenen Kontexten benutzt wird. Beispielsweise kann es der Fall sein, dass Studierende möglicherweise die für Videokonferenzen erforderlichen Bandbreiten nicht gewährleisten können. Viele Studierende müssen aufgrund der KiTa- und Schulschließungen zuhause Kinder betreuen oder haben andere Care-Verpflichtungen und können deshalb auch digitale Lernangebote, die synchrone digitale Präsenz erfordern, nicht wahrnehmen. Wir fordern daher: Qualitätsvolle Online-Lehre, bei der eine systematische Bevor- oder Benachteiligung bestimmter Studierendengruppen ausgeschlossen ist. Die Gleichstellungsbeauftragten beraten Sie hierzu gern.

4. Gemeinsame Strategien finden
In der Krise neigen wir dazu, als erstes „unsere eigenen Schäfchen ins Trockene“ zu bringen. Dadurch entsteht aber ein Flickenteppich von Lösungen und Vorgehensweisen, der große Unsicherheit bei Studierenden und Lehrenden auslöst und die Studierbarkeit (s. Punkt 2) erschwert oder unmöglich macht.
Wir fordern daher: Weg von partikularistischen Lösungen – hin zu gemeinsamen Zielvereinbarungen. Auch hierfür ist die Gremienarbeit an dieser Fakultät ein integraler Bestandteil. Uns werden Situationen begegnen, die keine*r erwartet hat – hier müssen wir alle Flexibilität beweisen.
Alle digitalen Lehrkonzepte werden in diesem Semester auf Herz und Nieren geprüft werden. Hierbei wird nicht ausbleiben, dass so mancher gut durchdachte Weg auf eine Sackgasse trifft. Bei uns allen – Lehrenden, Mitarbeitenden und Studierenden – herrscht große Unsicherheit: Was kommt auf uns zu? Werde ich „abgestraft“, wenn ich etwas Mutiges plane, was dann scheitert? Dieses Semester wird uns allen mehr abverlangen als simples „Digitalisieren“. Wir werden uns mit den Menschen beschäftigen müssen, Flexibilität, Toleranz und Offenheit beweisen müssen.
Alle sind hier zu Nachsicht aufgefordert, wenn eine Veranstaltung nicht nach Plan läuft, wenn ungeahnte Probleme auftauchen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Gleiches gilt für Studierende: Studierende sollten den neuen Konzepten mit Neugier und Engagement begegnen und gemeinsam mit Lehrenden arbeiten, um diese für alle durchführbar zu machen. In dieser Krise bewegen wir uns alle auf unkartiertem Gelände – es wird Zeit, darauf zu achten, dass niemand auf dem Weg verloren geht.

Gez.
Fachgruppe Biologie und Biodiversität
Fachgruppe Biochemie
Fachgruppe Psychologie
Gleichstellungsbeauftragte der Biologie und Psychologie


1Quelle: FAZ
2Quelle: Kultusminister Konferenz