Die Nachkriegszeit und die Schlüter-Affäre
Mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit tat sich die Universität nach 1945 schwer. Im Zuge der Entnazifizierung wurden lediglich 16 Professoren und Dozenten dauerhaft entlassen, darunter die ehemaligen Rektoren Friedrich Neumann und Hans Drexler. Die Auswirkungen waren also zahlenmäßig deutlich kleiner als die der nationalsozialistischen Säuberungen, die Entlassungen hatten zudem für die Betroffenen, die sämtlich ihre Pension behielten, wesentlich geringere Folgen. Eingeschränkt wird die Bedeutung dieser Maßnahmen noch dadurch, dass nach 1945 politisch belastete Professoren teilweise neu in die Universität aufgenommen wurden (z. B. der Rassenhygieniker Fritz Lenz, der seit 1946 in Göttingen lehrte). Seltener noch war eine Rehabilitierung der von den Nationalsozialisten vertriebenen Wissenschaftler. Waren diese in Deutschland geblieben und Lehrstuhlinhaber gewesen, konnten sie ihre alte Position oft wieder besetzen. Von den vielen Emigranten dagegen kehrten nur wenige zurück (z. B. der Philosoph Georg Misch, der Jurist Gehard Leibholz, der Mathematiker Carl Siegel und der 1933 in Köln entlassene Soziologe Helmuth Plessner). Der Grund für die geringe Rückkehrbereitschaft lag nicht zuletzt darin, dass man den Vertriebenen eine Wiedereinstellung nur zu den alten Bedingungen anbot, was für diejenigen, die mittlerweile in der Emigration Karriere gemacht hatten, wenig reizvoll war.
Wenn also an der Georgia Augusta eine grundsätzliche, politische Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung in die Verbrechen des Nationalsozialismus und vor allem eine Beschäftigung mit den Opfern unterblieb, so gab es doch auch kein einfaches „weiterso“. Führende Vertreter der Professorenschaft wie der Historiker Hermann Heimpel und der Physiker Werner Heisenberg hatten ihre Lehren aus der jüngsten Vergangenheit gezogen. Sie traten offen dafür ein, die Universität fest in der noch jungen deutschen Demokratie zu verankern, um ein erneutes Versagen wie 1933 zu verhindern. In der Göttinger Studentenschaft hatten sich einer bundesweiten Entwicklung entsprechend die politischen Gewichte ebenfalls verschoben. Trotz ihres wieder zunehmend selbstbewussten Auftretens sahen sich die Verbindungen jetzt einer starken Opposition politischer Gruppen gegenüber, deren Spannweite von Konservativen und Liberalen bis zum 1946 gegründeten Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) reichte, in dem die Göttinger Gruppe von Beginn an auf dem linken Flügel stand. Zu Anfang der fünfziger Jahre gab es zudem eine kommunistische Studentengruppe.
An zwei Ereignissen lassen sich diese Veränderungen ablesen. Am 26. Mai 1955 ernannte der neugewählte niedersächsische Ministerpräsident Heinrich Hellwege den Göttinger Leonhard Schlüter zum Kultusminister. Schlüter, obwohl selbst als Sohn einer jüdischen Mutter Diskriminierungen durch die Nationalsozialisten ausgesetzt, hatte sich nach dem Kriege in der rechtsextremen DRP engagiert und diese Partei im Göttinger Rat und im niedersächsischen Landtag vertreten. Außerdem betrieb er in Göttingen einen Verlag („Göttinger Verlagsanstalt“), in der er Werke rechtsextremer Autoren veröffentlichte. Gegen seine Ernennung protestierten Rektor und Dekane der Göttinger Universität, indem sie noch am selben Tag ihre Ämter niederlegten. Der AStA trat geschlossen zurück, und Professoren und Studenten demonstrierten gemeinsam. Der Stadtrat erklärte sich auf seiner Sitzung vom 27. Mai mehrheitlich mit der Haltung der Universität solidarisch, wobei die FDP allerdings - wie Oberbürgermeister Hermann Föge erklärte - „aus grundsätzlichen Erwägungen“ ihre Zustimmung verweigerte. Der wachsende Widerstand zwang Schlüter schließlich zur Aufgabe: Am 9. Juni 1955 legte er sein Ministeramt nieder.