Digitale Paläographie
Fachbereichsleiter: Dr. Anna Dorofeeva
Team: Alexander Zawacki
Die Digitale Paläographie in Göttingen wurde als Teil eines großen fünfjährigen Gemeinschaftsprojekts mit der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen im Rahmen des Programms „Kleine Fächer vermitteln Weltwissen“ der Volkswagen Stiftung gegründet. Das Projekt wird von Prof. Dr. Martin Langner, Prof. Dr. Winfried Rudolf und Prof. Dr. Wolfram Horstmann geleitet.
Die Digitale Paläographie kann man grob definieren die Anwendung digitaler Methoden auf die Geschichte des mittelalterlichen westlichen lateinischen Buches und die damit verbundene Praxis der Handschrift. Durch die Untersuchung originaler mittelalterlicher Bücher und Schriften mittels einer Vielzahl modernster computer- und wissenschaftlicher Ansätze enthüllt die Digitale Paläographie verlorene oder verborgene Verbindungen zwischen Menschen der Vergangenheit. Das Zentrum für Digitale Paläographie in Göttingen ist eines von nur sehr wenigen weltweit, das dieses grundlegende Fach lehrt und erforscht.
Studierende besuchen einen Grundlagenkurs in Paläographie: einen der wenigen in Deutschland, der über ein ganzes Jahr (zwei Semester) läuft und nicht nur traditionelle paläographische und kodikologische Konzepte lehrt, sondern auch die gesamte Bandbreite digitaler Methoden, die auf die Buchgeschichte anwendbar sind. Dazu gehören multispektrale Bildgebung, Textkodierung mittels TEI XML, automatische Texterkennung (ATR), IIIF und Digitalisierungsstandards, spezialisierte Fotografie, digitale Mikroskopie, GIS, Mustererkennung, Python und viele mehr. Zusätzlich werden regelmäßig Kurse in scholarly editing, Buchkunst, Fragmentologie und Manuskriptanalyse angeboten – manchmal in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen der Philosophischen Fakultät in Göttingen.
Unabhängige Studienprojekte sind auf allen Ebenen möglich, von der Übung im Seminar bis zur MA/PhD-Arbeit. Alle diese Kurse basieren auf grundlegenden Prinzipien, die es den Studierenden ermöglichen, ihr Denken und ihre Forschung trotz des sich rasch verändernden digitalen Umfelds zu entwickeln. Unsere Absolventen verfügen über die Fähigkeiten, um in Forschung, Bildung, dem Bibliotheks- und Archivsektor, dem Kulturerbesektor, der forensischen Analyse, dem Verlagswesen und vielen weiteren Bereichen zu arbeiten.
Die Digitale Paläographie in Göttingen hat eine internationale Ausrichtung, die sich in ihren Forschungs- und Studienmöglichkeiten widerspiegelt. Jedes Jahr veranstalten wir eine zweiwöchige Summer School – einen intensiven Kurs für Graduierte aus der ganzen Welt - zusammen mit unserer Partnerbibliothek in Wolfenbüttel. Die Teilnehmer lernen mittelalterliche lateinische Paläographie und digitale Ansätze zur Manuskriptkunde in theoretischen und praktischen Sitzungen kennen. Das Programm ist sehr reichhaltig und vielfältig, mit Gastdozenten aus ganz Europa und den USA. Zusätzlich nehmen Göttinger Studierende jährlich an einer einwöchigen Spring School in Vercelli und Verona (Italien) teil. Diese Spring School schafft Studierenden einzigartige Möglichkeiten. Im Jahr 2024 analysierten die Studierenden der Spring School mittelalterliche Bindungsfragmente in situ in frühneuzeitlichen Büchern mittels Endoskopie, erstellten einen vorläufigen Katalog einer unentdeckten mittelalterlichen Manuskriptsammlung und erkundeten ein funktionierendes Zisterzienserkloster.
Die Forschung in der Digitalen Paläographie entwickelt sich in Göttingen intensiv, mit drei geförderten Projekten, die derzeit laufen oder kurz vor dem Beginn stehen: das „Weltwissen“-Projekt , das darauf abzielt, Lehre und Forschung in der Paläographie und Bildwissenschaft zu revitalisieren; das „eManuSkript“-Projekt, das eine Reihe von Lehr- und Lernmitteln für das digitale Handschriftenstudium entwickeln soll; und INSULAR, ein ERC Advanced Grant-Projekt, das ab Oktober 2024 an der University of Leicester und der Universität Göttingen stattfindet und frühe mittelalterliche insulare Handschriften mittels Paläoproteomik (genetische Analyse) und modernster Bildgebungsverfahren untersucht. Diese Projekte beleben die Lehre in der Digitalen Paläographie, schaffen interessante Positionen für studentische Hilfskräfte und bieten spannende neue Möglichkeiten, über das derzeit Bekannte hinauszugehen.