Entnazifizierung
Hermann Kees wurde am 28. Oktober 1945 von der Militärregierung in die Klasse III(a) eingestuft: „Eifriger Nazianhänger– sofort zu entlassen”. Wie bei vielen anderen wurde in weiteren Verfahren, besonders nach Übergabe des Prozesses an die deutschen Behörden, diese Wertung sukzessive abgemildert. Am 10. Juli 1947 wurde Kees in Kategorie III „Minderbelasteter”, am 25. Januar 1949 sogar in Kategorie V „Entlasteter” eingestuft. Dennoch kehrte Kees im Gegensatz zu anderen nicht in sein Amt zurück: am 9. Juli 1949 zog die Philosophische Fakultät ihre ursprünglich positive Empfehlung zurück, „mit Rücksicht auf die von ihr geteilten Empfindungen einiger verdienter Kollegen”, die (mit Hinweis auf die Beteiligung von Hermann Kees an der „Kundgebung” gegen James Franck) die Zusammenarbeit mit Hermann Kees verweigerten.
Die Wertschätzung der Fachkollegen scheint er sich weitgehend die NS-Zeit hindurch erhalten zu haben:
„Und wie steht es mit Ihnen? Vor Ihrem Mißgeschick habe ich mit Teilnahme gehört. Wie steht es mit der Rehabilit., die doch in der engl. Zone viel leichter sein soll als hier bei uns? Koll. Souler erzählte mit neulich, daß Sie wenigstens noch auf das Seminar kämen; also sind doch nicht alle Brücken abgebrochen. Wenn Sie etwa von mir ein Gutachten in irgendeinem Sinne brauchen, so schreiben Sie mir nur. Ich glaube, daß ich im Augenblick der einzige amtierende Ord. unseres Faches in Deutschl. bin, auch ein trauriger Ruhm! Aber ich habe mich wirklich mit Überzeugung all die Jahre von dem Nazirummel ferngehalten. So bin ich jetzt bestätigt und sogar Dekan [...].„ (Brief von Alexander Scharff an Hermann Kees vom 19.3.1946)
Die Korrespondenz aus der Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg berührt vor allem zwei Aspekte des Entnazifizierungsprozesses: Solidaritätsbekundungen deutscher Kollegen bzw. Austausch über den Prozess selbst und das Einholen von Leumundszeugnissen bei ausländischen Wissenschaftlern. Zu letzteren gehört Kees Schüler Torgny Säve-Söderbergh, der sich bei der britischen Militärregierung für ihn verwendet:
„Sehr geehrter Herr Professor!
Es hat mich sehr gefreut, endlich wieder von Ihnen ein Lebenszeichen zu erhalten. Hoffentlich haben Sie durch Otto Grüße von mir gehabt. Es war mit äusserst schmerzlich durch ihn zu erfahren, dass es Ihnen nicht gut geht und dass Sie Schwierigkeiten an der Universität haben. Mein Wort wird wohl leider wenig bedeuten, ich habe aber vor etwa einem halben Jahr an die britische Behörde geschrieben, um Ihre völlig unpolitische Haltung Ihren Schülern gegenüber vor und während des Krieges klar zu machen.„ (Brief von Torgny Säve-Söderbergh an Hermann Kees vom 8.7.1947)
Auch Georg Steindorff beglückwünscht Kees trotz seines negativen Urteils von 1945 am 21. März 1950, dass er „im Spruchkammerverfahren ‚praktisch voll entlastet’ worden” sei und bedauert die „Leichtfertigkeit” der Behörden, die sich darin zeige, dass ein „wissenschaftlicher Schwerverbrecher wie Wolf entlastet worden” sei und eine Professur erhalten habe. Überhaupt ist die Wiedereinsetzung von Professoren, die sich weit mehr als Kees in der NS-Politik engagiert hätten, ein roter Faden der Korrespondenz zum Entnazifizierungsprozess.
„[...] Was ist bei Euch/uns eigentlich los? Der Teufel? oder der Bajazzo?: Sie (Sa u. Pg) fliegen, Roeder (Sa u. Pg) bleibt resp. ist im Steigen! Ich habe mich jahrelang mit allen Mächten hier für andere herumgeschlagen, und bin jetzt entamtet – und Hr Schaeder (freilich nicht Pg!), der sich in unglaublichem Maasse politisch hier und draussen auf seinen ewigen Reisen unter grober Vernachlässigung seiner Pflichten als Professor exponiert hat – hier ist alle Welt erstaunt! – wird zum Dank bei Euch Professor! Scharff belastet sich zum Wohl des Ganzen mit dem Dekanat so sehr, dass er 'nicht mehr weiss, wie er die Bürde tragen soll' – und erlaubt sich mit die Frage zu stellen, 'wie ich aus blossem Geltungsdrang Pg werden konnte?'! [...]?”
(Brief von Hermann Grapow an Hermann Kees vom 15.5.1946)
Herman Grapow (1885-1967)
© Wolfhart Westendorf
Schließlich resigniert Kees und bereitet sich auf seine Lehrtätigkeit in Kairo (1951-1956) vor.
„Es tut mir sehr leid, daß Sie, obwohl völlig entlastet, nicht wieder in Ihr Amt zurückberufen sind, das Sie in so hervorragender Weise vertreten haben. Bei uns sind mehrere entlastete Parteigenossen wieder in ihr Amt eingesetzt. Allerdings kommen Fälle wie der Ihre, die auf persönliche Stellungnahmen beruhen, auch gelegentlich vor.
1) Die Kosten der Lebenshaltung in Ägypten sind seit dem Kriege außerordentlich gestiegen, z. T. um das Doppelte, z. T. auf das Dreifache und Vierfache [...].”
(Brief von Enno Littmann an Hermann Kees vom 9.5.1951)
Hermann Kees kehrte nicht wieder auf seine Göttinger Professur zurück: Er wurde 1952 emeritiert und die Stelle neu besetzt.