Geistige Freiheit, wissenschaftliche Exzellenz und gesellschaftliche Verantwortung
Die Geschichte der Georg-August-Universität beginnt bereits drei Jahre vor ihrer offiziellen Gründung im Jahr 1737 mit dem Aufbau einer Bibliothek. Im Geist der Aufklärung gegründet, ist die Georgia Augusta von der Zensur befreit. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die Theologische Fakultät – anders als bis dahin üblich – keinen Vorrang mehr vor den anderen Fakultäten besitzt. Zugleich erhält die akademische Lehre einen hohen Stellenwert. Der englische König und hannoversche Kurfürst Georg II. sichert der Universität Göttingen völlige Lehrfreiheit zu – etwas Besonderes in der absolutistischen Welt des frühen 18. Jahrhunderts. Die 1751 gegründete Göttinger Akademie der Wissenschaften bietet den Lehrenden von Beginn an ein Forum für ihre wissenschaftliche Forschung und den Austausch zwischen den Disziplinen.
In der ersten Blütezeit der Universität folgen weltberühmte Gelehrte dem Ruf nach Göttingen: Der Arzt, Naturforscher und Dichter Albrecht von Haller, der Physiker, Philosoph und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg und der Mathematiker und Astronom Carl Friedrich Gauß. Auch das Streben nach Freiheit macht Göttingen bekannt: Als im Jahr 1837 König Ernst August von Hannover die von seinem Vorgänger erlassene Verfassung aufhebt, legen sieben Professoren der Georgia Augusta schriftlich Protest ein, unter ihnen die Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm. Der mutige Widerstand hat Folgen: Die „Göttinger Sieben“ verlieren ihre Stellung und die Zahl der Studenten erreicht einen historischen Tiefstand. Bis heute sind die „Göttinger Sieben“ ein herausragendes Beispiel für Zivilcourage in Deutschland.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebt die Universität eine zweite große Blütezeit. Wissenschaftlich etabliert sich Göttingen als exzellenter und gut vernetzter Standort: 1907 wird hier die erste staatliche Luftfahrtforschungseinrichtung der Welt gegründet. Sie ist der Vorläufer des heutigen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation, auf das wichtige Entwicklungen der Luftfahrt zurückgehen. Zahlreiche Gelehrte von Weltruhm lehren oder studieren in Göttingen. Eine Reihe von ihnen wird für ihre Tätigkeit in Göttingen mit dem Nobelpreis geehrt: Otto Wallach (Chemie 1910), Walther Nernst (Chemie 1920), Richard Zsigmondy (Chemie 1925), Adolf Windaus (Chemie 1928) und Werner Heisenberg (Physik 1932). Max Born, von 1922 bis zu seiner erzwungenen Emigration 1933 Professor in Göttingen, erhielt für seine grundlegende Forschung aus dieser Zeit 1954 den Nobelpreis für Physik.
Ein folgenschwerer Bruch mit der Tradition der geistigen Freiheit kennzeichnet die Geschichte der Göttinger Universität in den Jahren 1933 bis 1945: Dem Nationalsozialismus, seiner menschenverachtenden Ideologie und dem Rassenwahn setzen die Göttinger Hochschullehrer kaum Widerstand entgegen. Eine rasche Gleichschaltung der Universität, die Zwangsemeritierung vieler Professoren und die Exmatrikulation zahlreicher Studenten ist die Folge.
Nach dem Krieg beginnt in Göttingen der Wiederaufbau als bedeutender Wissenschaftsstandort. Göttingen ist der Gründungsort der Max-Planck-Gesellschaft, die hier im Jahr 1948 unter maßgeblicher Mitwirkung von Max Planck und Otto Hahn als Forschungsorganisation der autonomen Grundlagenforschung ins Leben gerufen wird. Mit fünf Instituten hat die Stadt heute die größte Dichte von Max-Planck-Instituten in Deutschland; 1977 ist das Deutsche Primatenzentrum als Forschungsinstitut der Leibniz-Gemeinschaft hinzugekommen.
In den 1950er Jahren gehen von Göttingen auch erneut entscheidende Anstöße zur Stärkung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit aus. So kommt es zwischen 1951 und 1952 zu heftigen Protesten gegen den NS-Regisseur Veit Harlan ("Jud Süß"), der in Göttingen neue Filme dreht. Als drei Jahre später Leonhard Schlüter, der sich in einer rechtsextremen Partei engagiert und nationalistische Autoren verlegt hatte, zum niedersächsischen Kultusminister ernannt wird, legen Rektor und Dekane der Göttinger Universität aus Protest ihre Ämter nieder.
Im April 1957 veröffentlichen einige der bedeutendsten Wissenschaftler der damaligen Zeit, darunter Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, die Göttinger Erklärung, mit der sie der von der Bundesregierung angestrebten atomaren Bewaffnung der Bundeswehr entgegentreten.
In Geschichte und Gegenwart ist der Forschungsstandort Göttingen geprägt durch das Streben nach herausragender Wissenschaft und Bildung. Den Erfolg spiegelt unter anderem eine Liste von zahlreichen Nobelpreisträgern wider, die mit Göttingen verbunden sind, darunter die heute noch in Göttingen arbeitenden Max-Planck-Forscher Manfred Eigen und Erwin Neher. Damit steht Göttingen für Exzellenz in der Wissenschaft, einem Austausch von Ideen und einem akademischen Miteinander, von dem immer wieder politische Impulse in die Gesellschaft ausgehen.