VR4study: Perspektivität mit Avataren erlernen
Kooperationsprojekt mit dem Seminar für englische Philologie (Dr. Frauke Reitemeier) und dem Seminar für Deutsche Philologie (Prof. Dr. Jörg Wesche)
Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert die Entwicklung der Teaching-Units im Rahmen des Hochschulpakt 2020 Projekts „Innovation plus (2022/23)"
Ansprechpartner: Prof. Dr. Martin Langner und Deborah Ehlers, MA
Die erkenntnistheoretische Einsicht des Perspektivismus, die in sehr vielen Studiengängen der Philosophischen Fakultät grundlegend ist, soll durch Anwendung von Virtual Reality Technologien eingeübt und vertieft werden. Dazu werden gemeinsam mit Studierenden Avatare, virtuelle Räume und nachnutzbare Lernszenarien als Muster für weitere Lerneinheiten erstellt und zur Verfügung gestellt.
Studierenden geisteswissenschaftlicher Fächer fällt es vor allem zu Beginn ihres Studiums schwer, die Realität als konstruiert wahrzunehmen und zu verstehen, dass die Wirklichkeit von der Perspektive der Leser*innen und Betrachter*innen abhängig ist. Entsprechend können sie diese Erkenntnis nur schwer auf sich selbst oder Dritte beziehen oder in andere Situationen transferieren. Die Analyse von Texten unterschiedlicher medialer Verfassung und deren Einbindung in historische Konzepte und systematische Fragestellungen bereitet ihnen daher große Schwierigkeiten.
Diesem Defizit soll mit VR4study begegnet werden, indem
1. gemeinsam mit den Studierenden mindestens zwei Beispielszenarien (Macbeth und Faust) als diskursive und performative Lerneinheiten entwickelt und bereitgestellt werden sowie
2. Lehrenden und Studierenden auf dieser Grundlage die Möglichkeit eröffnet wird, zukünftig weitere Lerneinheiten relativ einfach selbst herzustellen.
Damit ist das Ziel verbunden, den Studierenden mehr Autonomie beim Lernen und eine stärkere Personalisierung der Lernerfahrung zu bieten. Wir streben daher Lernumgebungen als eine Art ‘Visualisierungsmaschine’ an, die wie ein Baukasten über verschiedene Tools und Sets verfügt, mit denen man sich Räume und Avatare für Rollenspiele zusammenstellen kann. Sie kommen in drei Facetten zur Anwendung:
a) Avatare als Gesprächspartner*innen und Lehrende in der Rolle einer Regieassistenz
b) Szenisches Interpretieren von literarischen Werken
c) Rekonstruktion von historischen Räumen
An den Beispiel-Units soll gezeigt werden, wie zentrale Reflexionskategorien und Analysekompetenzen in Bezug auf die medialen Spezifika von Literatur vermittelt werden können. In den projektbegleitenden Lehrveranstaltungen werden Fähigkeiten in den New Literacies, der visuellen Kompetenz und der Medienkompetenz eingeübt und mit einer kritisch-analytischen Auseinandersetzung verbunden. So wird auch die Reflektionskompetenz in Bezug auf Wissenstransfer und außerschulische Wissensvermittlung in fachlicher und didaktischer Perspektive erhöht.
Die Vermittlung von Wissensinhalten wird in diesem Projekt in dreifacher Hinsicht personalisiert. Zum Einen erhält sie durch den Teaching-Avatar eine eindeutige Autor*in, aus deren Perspektive die Inhalte vermittelt werden. Diese Perspektivität des Sprechenden wird dem Studierenden so sehr viel besser verständlich als beim Lesen der Quellentexte und Kommentare. Zum Zweiten sind die Studierenden selbst Teil der virtuell erschaffenen Wirklichkeit. Ihre Aktionen und Interaktionen bestimmen in gewissem Maße die Reaktionen der Avatare, so dass die Studierenden aktiv und weitgehend stressfrei an ihrem Lernfortschritt mitarbeiten. Sie tun dies asynchron und in ihrem eigenen Tempo. Zum Dritten werden die Handlungen der Avatare von Studierenden im Rahmen einer Lehrveranstaltung selbst erstellt. Damit stehen bei jeder Lerneinheit die Interessen der Studierenden im Fokus. Alle drei Ebenen werden zusätzlich durch einen Fragen stellenden Erzähler-Moderator-Avatar thematisiert, so dass die Studierenden zur Reflexion über diese dreifache Perspektivität ermuntert werden.
Zugleich gehören die dazu notwendigen Verfahren der Simulation und virtuellen Realität zu den Basistechnologien der Digital Humanities, die in diesem Projekt ebenfalls vermittelt werden sollen. Im Institut für Digital Humanities wird zu diesem Zweck aus Eigenmitteln ein VRLab eingerichtet, in dem den Studierenden verschiedene Head-Mounted Displays und genügend Raum für Interaktionen zur Verfügung stehen, um in allen Entwicklungsstufen die Ergebnisse diskutieren, evaluieren und weiterentwickeln zu können. Die im Projekt zu erstellenden Komponenten und Beispiel-Szenarien sind aber auch an anderen Orten einsetzbar und werden nach Ablauf des Projekts zur Nachnutzung im OER-Portal Niedersachsen (Twillo) bereitgestellt.
Die Daten aus dem zu entwickelnden VR-Lernsystem bieten die Möglichkeit, den Erfolg der Lernszenarien zu messen, weil eine große Menge an verwertbaren Erkenntnissen über den Anwendungserfolg als Paradaten anfallen, die auf Grundlage eines zu erstellenden Kriterienkatalogs gemessen und diskutiert werden können. So lassen sich der Kompetenzzuwachs der Studierenden wie auch der Erfolg der Units evaluieren. Die Studierenden erhalten zudem innerhalb der Lehrveranstaltung ein Feedback über ihren Lernfortschritt.