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Press release: Auf den Spuren des Geldes: Durchbruch für die Vorhersage der Seuchenausbreitung

Nr. 27/2006 - 23.01.2006

Göttinger Wissenschaftler entwickeln mathematisches Modell zur Beschreibung des Reiseverhaltens
S p e r r f r i s t: Mittwoch, 25. Januar 2006, 19 Uhr
(pug) Auf den „Spuren des Geldes“ haben Wissenschaftler aus Göttingen und Santa Barbara (USA) ein mathematisches Modell entwickelt, das das menschliche Reiseverhalten mit hoher Präzision beschreibt und damit eine wichtige Grundlage für die Vorhersage der weltweiten Ausbreitung von Epidemien, etwa einer Grippepandemie, bietet. Die Forscher analysierten dazu Daten eines amerikanischen Internetportals, das den Umlauf von Dollarnoten registriert. Die Geldscheine werden - ebenso wie Krankheitserreger - durch Menschen von Ort zu Ort transportiert und an andere Personen weitergegeben. Wie die Physiker Dr. Dirk Brockmann, Dr. Lars Hufnagel und Prof. Dr. Theo Geisel herausfanden, folgen diese Bewegungen universellen Skalierungsgesetzen. Diese bilden die Grundlage für das neue Göttinger Modell, das einen „signifikanten Durchbruch für die mathematische Modellierung der Seuchenausbreitung bedeutet“, wie Prof. Geisel betont. Der Wissenschaftler ist Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (Göttingen) und forscht als Professor für Theoretische Physik an der Georg-August-Universität. Über die Forschungsergebnisse informiert das Magazin „Nature“ in der Ausgabe vom 26. Januar 2006.
Historische Seuchen wie die Pest haben langsam als Wellenfront weite geographische Gebiete erfasst. „Im Zuge der wachsenden Mobilität des modernen Menschen werden sich kommende Pandemien nach anderen Gesetzen und sehr viel schneller ausbreiten, wie bereits das Beispiel von SARS gezeigt hat“, erläutert Prof. Geisel. „Bestehende Standardmodelle sind dafür nicht mehr anwendbar.“ Um die Ausbreitung von Seuchen in mathematischen Modellen zu beschreiben und Vorhersagekonzepte zu entwickeln, ist eine genaue quantitative Kenntnis des Reiseverhaltens auf allen Entfernungsskalen erforderlich. Bislang war es der Wissenschaft jedoch nicht gelungen, die charakteristischen Bewegungsströme - die Fortbewegung mit Fahrrad, Auto, Bahn oder Flugzeug - in Zahlen und Daten zu ermitteln. „Um umfassende Bewegungsdaten zu erheben, müssten alle diese Verkehrsströme landesweit und international über längere Zeiträume gemessen und zusammengefasst werden. Das erscheint kaum möglich“, sagt der Göttinger Physiker und Leibniz-Preisträger.
Die Göttinger Wissenschaftler haben einen anderen Weg gefunden, die Gesetzmäßigkeiten menschlichen Reiseverhaltens zu erschließen. Statt der Bewegung einzelner Menschen untersuchten die Forscher die geographische Zirkulation von Geldscheinen und analysierten dazu die Daten eines US-amerikanischen Bill Tracking-Internetportals: Eine große Anzahl von Dollarnoten wird markiert in Umlauf gebracht; wer einen solchen Schein erhält, kann sich online registrieren, in einem Bericht seinen Aufenthaltsort angeben und den weiteren Weg des Geldscheins verfolgen. Mittlerweile sind rund 50 Millionen „individuelle“ Geldscheine registriert. „Wir haben erkannt, dass sowohl die enorme Datenfülle als auch die hohe geographische und zeitliche Auflösung des Bill Trackings genaue Rückschlüsse auf die statistischen Eigenschaften des Reiseverhaltens erlauben, und zwar unabhängig von den benutzten Verkehrsmitteln“, betont Dr. Brockmann vom Göttinger MPI für Dynamik und Selbstorganisation.
In den Bewegungsdaten ermittelten die Forscher universelle Skalierungsgesetze, die dem menschlichen Reiseverhalten zugrunde liegen. Ähnliche Gesetzmäßigkeiten kennt die Wissenschaft in anderen physikalischen und biologischen Systemen, etwa turbulenten Strömungen. Dr. Hufnagel von der University of California in Santa Barbara: „Das Besondere an diesen Skalierungsgesetzen ist die Tatsache, dass sie nur durch zwei universelle Parameter bestimmt werden. Dieses Ergebnis hat uns alle überrascht.“ Das daraus entwickelte mathematische Modell des menschlichen Reiseverhaltens beschreibt mit bislang nicht gekannter Genauigkeit Reisebewegungen auf Entfernungen von einigen wenigen bis zu mehreren tausend Kilometern. Da für viele Krankheitserreger die Mechanismen der Ansteckung von Mensch zu Mensch bereits gut verstanden sind, können nun mit Hilfe der neuen Theorie erstmals konkrete Modelle untersucht werden, mit denen sich die globale Seuchenausbreitung realistisch berechnen und beschreiben lässt. „Wir sind optimistisch, dass dies die Vorhersage der geographischen Ausbreitung von Epidemien entscheidend verbessern wird“, sagt Prof. Geisel.
Hinweis an die Redaktionen:
Eine digitale Abbildung kann in der Pressestelle abgerufen werden.
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Theo Geisel
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Physik
Institut für Nichtlineare Dynamik
Bunsenstraße 10, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 5176-400, -401, Fax (0551) 5176-402
e-mail: geisel@chaos.gwdg.de
Internet: www.chaos.gwdg.de