Titel des Projekts:
Sozialer Dialog und Demokratieprinzip - eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Sozialpartnerbegriffs
Gegenstand des Dissertationsvorhabens ist die Beurteilung des Sozialen Dialogs vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips.
Mit dem Abkommen über die Sozialpolitik, dessen Vorschriften heute in den Amsterdamer Vertrag integriert sind, wurde den Sozialpartnern zum ersten Mal die Möglichkeit eröffnet, Vereinbarungen zu schließen, die durch Ratsbeschluß zu Gemeinschaftsrecht werden können. An diesem sozialpolitischen Rechtsetzungsprozeß sind formal Kommission und Rat, nicht aber Wirtschafts- und Sozialausschuß oder Europäisches Parlament beteiligt. Vielmehr üben die Sozialpartner den maßgeblichen Einfluß auf die Gesetzgebungsaktivitäten der Gemeinschaft aus. Das Verfahren sieht sich daher der Kritik mangelnder demokratischer Legitimation ausgesetzt.
Das EuG hat in der Rechtssache T-135/95 vom 17. Juni 1998 entschieden, daß "die Beteiligung der Völker an diesem Verfahren" durch die Vermittlung der Sozialpartner ersetzt werden könne. Auch Teile der Literatur sehen in den Sozialpartnern ein Element demokratischer Legitimität, da sie Millionen von in ihren nationalen Organisationen zusammengeschlossenen Mitgliedern vertreten. Diese Prämisse soll untersucht werden. Wegen des besonderen Einflusses der Sozialpartner ist darüberhinaus zu klären, ob die Sozialpartner allein als Interessenvertreter ihrer Mitglieder oder vielmehr als Repräsentanten des Volkes zu verstehen sind, wie es in dem oben genannten Urteil anklingt. Davon hängt es ab, welche dogmatischen Anforderungen an den gesetzlich nicht präzisierten Sozialpartnerbegriff in den verschiedenen Verfahrensstufen des Sozialen Dialogs zu stellen sind.
Ziel der Arbeit ist herauszufinden, wie die Vorschriften über den Sozialen Dialog auszulegen sind, damit sie dem Demokratieprinzip genügen.
Methode und Vorgehensweise
Die aufgeworfenen Fragen sollen in dogmatisch-normativer und rechtsvergleichender Weise beantwortet werden. Ein Vergleich findet vor allem zwischen der gemeinschaftlichen und der mitgliedstaatlichen Ebene statt. Die Problematik der fehlenden Beteiligung des Parlaments an der europäischen Rechtsetzung kann mit dem in Belgien praktizierten Rechtsetzungsverfahren verglichen werden, an dem sich der Soziale Dialog nach Art. 138 f. EGV n. F. orientiert.
Im Hinblick auf die Legitimation der Sozialpartner zum Erlaß von Regelungen gegenüber ihren Nicht-Mitgliedern bietet sich ein Rückgriff auf § 3 II TVG an, bei dem umstritten ist, wie die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien gegenüber Außenseitern legitimiert werden kann. Außerdem legt die Terminologie der Repräsentativität der Sozialpartner, wie sie vom EuG benutzt wird, einen Blick auf das Merkmal der sozialen Mächtigkeit der deutschen, der représentativité der französischen und der Durchsetzungsfähigkeit der österreichischen Gewerkschaften nahe.
Bezug zum Rahmenthema des Graduiertenkollegs
Das erste im Rahmen des Graduiertenkollegs zu behandelnde Themenfeld bezieht sich auf die Entstehung und Wirkungsweise des Europäischen Sozialmodells. Als ein Charakteristikum des europäischen Sozialmodells gilt, daß es "die Bereitschaft von Individuen und Gruppen zur Selbstorganisation und zum Kompromiß zwischen konfligierenden Interessen fördert" (Antrag S. 6).
Das Verfahren des Sozialen Dialogs kann nur unter der Voraussetzung eines Konsenses der Verhandlungsparteien zu dem Ziel, d.h. dem Abschluß einer Vereinbarung führen. In seiner rechtlichen Etablierung drückt sich also ein "überlegenes" Merkmal des europäischen Sozialmodells aus.
Obwohl die "Gestaltung individueller und kollektiver Lebensbedingungen in einer Marktökonomie" als kaum ausgestaltet angesehen wird (Antrag S. 19), strebt der Soziale Dialog durch die Schaffung gemeinsamer Arbeitsbedingungen eine Gestaltung kollektiver Lebensbedingungen gerade an. Ob in Zukunft von einem Europäischen Sozialmodell (Antrag S. 36) gesprochen werden kann, hängt davon ab, ob politische Entwicklungen in Richtung Heterogenisierung und Fragmentierung oder in Richtung Homogenisierung von Arbeitsbedingungen und kollektiven Arbeitsbeziehungen führen. Der Soziale Dialog jedenfalls stellt ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem die Herausbildung eines einheitlichen Europäischen Sozialmodells gefördert werden kann. Seine Besonderheiten gilt es daher herauszuarbeiten.
Stand des Forschungsprojektes
Es wurde eine Präzisierung des Themas weg von einer "positivistischen" Darstellung hin zu einer wertenden Betrachtung des Verfahrens vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips vorgenommen. Ein Überblick über die einschlägige Literatur besteht, so daß die detailierte Ausarbeitung vorangetrieben werden kann.