Kunst als Wissenschaftspraxis. Carl Oesterley (1805-1891) und die Begründung der Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert
gefördert durch Pro*Niedersachsen
Leitung: Prof. Dr. Michael Thimann
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Dr. Katja Mikolajczak
Kuratorische Betreuung: Dr. Anne-Katrin Sors
Laufzeit: März 2016 bis Februar 2018
Ziel des Projekts sind die Erschließung und Erforschung des künstlerischen sowie kunstwissenschaftlichen Schaffens von Carl Wilhelm Oesterley (1805-1891), einem der bedeutendsten niedersächsischen Künstler des 19. Jahrhunderts. Oesterley ist eine paradigmatische Figur, da er in Personalunion Künstler und Wissenschaftler war. Er gehört damit in die Reihe der bedeutenden 'Wissenschaftskünstler' der Romantik wie Johann David Passavant, Carl Friedrich von Rumohr und Johann Anton Ramboux, die praktisches Arbeiten mit historischer Forschung und Reflexion über die Geschichte der Kunst verbunden haben und so von Künstlern zu Historikern wurden. Oesterley ist Vertreter einer Generation, in der das historische Arbeiten und das Interesse für die Geschichtlichkeit der Kunst zunehmend in ein Konkurrenzverhältnis zur eigenen künstlerischen Tätigkeit traten. Doch zeichnet Oesterley aus, dass er die Malerei nie aufgegeben hat, um sich allein der historischen Wissenschaft zuzuwenden.
Der in Göttingen geborene Oesterley studierte an der Georgia Augusta Alte Geschichte, Archäologie sowie Philosophie und erhielt nebenbei Malunterricht in Kassel. Nach der Promotion (1824) setzte er die künstlerische Ausbildung in Dresden bei dem Klassizisten Friedrich Matthäi fort. 1826 trat er eine erste Reise nach Italien an und verkehrte in Rom im Kreis der Dresdener Nazarener sowie mit den Künstlern um Joseph Führich und um Julius Schnorr von Carolsfeld. Auch war er ein gern gesehener Gast im Haus des preußischen Gesandten Bunsen auf dem Kapitol. Vor allem zeichnete er in Rom, Neapel und Perugia nach Werken alter Kunst. Nach der Rückkehr habilitierte er sich 1829 in Göttingen für Kunstgeschichte, hielt kunstgeschichtliche Vorlesungen, gab Zeichen- und Malunterricht und betreute die Kunstsammlung der Universität. 1831 wurde er zum außerordentlichen, 1842 zum ordentlichen Professor berufen. Neben seiner Arbeit an der Universität verbrachte Oesterley 1835 einige Monate bei Wilhelm von Schadow an der Düsseldorfer Kunstakademie, um sich auf dem Gebiet des Kolorits zu verbessern. 1844 erfolgte die Berufung zum Hannoverschen Hofmaler, womit seine Göttinger Lehrtätigkeit eingeschränkt wurde, die 1863 unter Fortzahlung der Bezüge endete. Mit dem Übergang Hannovers an Preußen erlosch auch Oesterleys Amt als Hofmaler. Bis zu seinem Tod 1891 war er als Portraitist des Bürgertums tätig und schuf zahlreiche Altarbilder für niedersächsische Kirchen.
Sein vielseitiges wie umfangreiches Oeuvre soll in einem Werkverzeichnis gesammelt und analysiert werden. Einen bedeutenden Grundstock dafür bildet der künstlerische Nachlass Oesterleys, welcher in der Kunstsammlung der Göttinger Universität verwahrt wird. Dieser Nachlass bestehend aus über 1000 Zeichnungen, Skizzenbüchern und Ölskizzen soll außerdem über eine Online-Datenbank zugänglich gemacht werden.
Mehrere bisher unbeachtete Manuskripte, die in Zusammenhang mit Oesterleys Lehrtätigkeit stehen, haben sich in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen erhalten. Darunter befindet sich eine Schrift zu Leben und Werk Raffaels, in der Oesterley neue Akzente zur Raffael-Forschung des 19. Jahrhunderts setzt, indem er als Maler und Empiriker auch die Maltechnik und den funktionalen Kontext der Bilder ausgiebig diskutiert. Dieses kunsthistorische Werk Oesterleys wird im Rahmen des Projekts ausgewertet und ediert. An seinem künstlerischen und wissenschaftlichen Werk soll aufgezeigt werden, wie kunsthistorisches Arbeiten einerseits die Kunst selbst geformt hat, andererseits aber auch die eigene künstlerische Arbeit die wissenschaftlichen Fragestellungen nachhaltig beeinflusst hat. Der Fokus der Untersuchung ist daher nachdrücklich wissens- und disziplinengeschichtlich gefasst: Wie lässt sich die Interdependenz der Entwicklung wissenschaftlicher Methoden, Ordnungs-, Archivierungs- und Beschreibungsmodelle mit der künstlerischen Praxis verbinden resp. aus dieser herleiten? Dass Oesterley die Gegenstände seines wissenschaftlichen Interesses zunächst mit dem Auge des Künstlers sah und dann wissenschaftlich objektiviert hat, lässt sich nachweisen. Damit versteht sich das Projekt als Grundlagenforschung zur Entstehung des Historismus aus dem Geiste der Romantik wie auch zur Entstehung des Faches Kunstgeschichte als akademische Disziplin.
- Oesterley, Carl Wilhelm Friedrich
Katja Mikolajczak, Michael Thimann (Hg.), Steven Reiss (Bearb.)
Über das Leben Raffaels von Urbino.
Die Göttinger Vorlesung aus dem Jahr 1841, Göttingen 2019
Universitätsverlag Göttingen
Softcover, 17x24; 360 Seiten
ISBN: 978-3-86395-423-9
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