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Bericht über die Exkursion „Das frühchristliche Rom“ des Lehrstuhls für Kirchengeschichte, 5. –13. September 2023
Leitung: Prof. Dr. Peter Gemeinhardt, Dr. Dorothee Schenk
Quo vaditis? – Romam!
Beim dritten Anlauf führte der Weg doch nach Rom: Nach zwei coronabedingt verhinderten Versuchen unternahmen wir, elf Studierende unter der engagierten Leitung von Prof. Peter Gemeinhardt und Dr. Dorothee Schenk, die langersehnte Exkursion „Das frühchristliche Rom“, die sich an das gleichlautende Seminar anschloss.
Von Göttingen aus begann am Nachmittag des fünften Septembers unsere Reise in die Stadt der sieben Hügel. Nach der ersten Exkursionsnacht im Nightjet lernten wir, dass sich die Österreichische Bundesbahn gern auch einmal verfrüht. Sanft geweckt durch den dröhnenden Lautsprecher im Liegeabteil und die Rufe unseres Abteilschaffners, fanden wir uns – teilweise ohne Frühstück und vor dem ersten caffè (!) – in unverschämter Frühe um 6:00 Uhr in Bologna Centrale wieder: la dolce vita! In Rom angekommen ging es schon bald los mit dem Programm. (Nun) munter und wieder voller Vorfreude zog unserer Exkursionstruppe los. Was wir in den nächsten Tagen zu sehen bekommen sollten, war nicht nur das Ergebnis ausgebuffter Seminar- und Exkursionsplanung und jede Reisebeschwerlichkeit wert, sondern war Kirchen-Geschichte – und zwar in allen Wortsinnen. |
Rom ist eine Stadt, in der man die Anfänge des Christentums als Religion bzw. zunächst einer christlichen Bewegung samt ihrer Promis und Gegner hervorragend nachvollziehen kann, oder können soll: So befinden sich zwar viele alte Knochen und Artefakte in Rom, ob sie jedoch Petrus oder Paulus gehörten, sei letztlich, so der Guide, der uns durch die Nekropole unter dem Petersdom führte, Glaubenssache. Die Geschichte des frühen Christentums wurde für uns vor allem wahrnehmbar durch die Spuren früher Märtyrer*innenverehrung, die etwa noch in S. Sabina oder S. Agnese samt ihrer Katakombe (und offizieller Plakette von Papst Damasus) zu erahnen sind. Die Kirche der heiligen Agnes, die nur noch in ihrem Grundriss erhalten ist, dokumentiert zugleich, dass das Christentum im vierten Jahrhundert eine neue Wichtigkeit erlangte und nun auch baulich sichtbar wurde.
Tauben-Graffito oder ein altes Triumphbogen-Mosaik – und was vermittelt uns das Gesamtkunstwerk, die dem Barock geschuldete Kassettendecke einmal weggedacht? In S. Clemente mit ihren Untergeschossen konnten wir diesen Gang durch die Geschichte tatsächlich selbst nachvollziehen, steht doch die heutige Kirche aus dem 12. Jahrhundert auf der 392 von Hieronymus erwähnten Basilika, unter welcher wiederum ein Kultort des Mithras aus dem zweiten Jahrhundert liegt, der im ersten Jahrhundert eine Münzprägestätte war. Schließlich findet man in Rom die unam sanctam ecclesiam, die sich aus der immer schon dagewesenen Vielfalt des christlichen Lebens und Denkens wie ein Mosaik zusammensetzt. Dieses Leben wird selbst in den stickig-kühlen Gräbern – darunter die Arkosolia, die von den Guides liebevoll „Pizzaöfen“ genannt werden – durch Grabplatten fassbar, die von vielfältigen Jenseitsvorstellungen erzählen und von Steinmetzen mit fehlenden Grammatik-Kenntnissen zeugen. |
ihren Glauben lebten. Bis heute werden in Rom in den baudenkmalerischen und teils von der UNESCO zum Welterbe geadelten Kirchen Gottesdienste gefeiert. Auch wir wurden am Sonntag in der Episkopalkirche St. Paul’s Within the Walls als Teil der bunten „international Protestant family“ herzlich empfangen und nahmen an einem Gottesdienst teil. Die antiken Baptisterien sind in Benutzung, in den Katakomben werden Andachten gehalten und in Tre Fontane, dem Enthauptungsort Pauli, leben Trappist*innen. Gern scheinen in den Märtyrerkirchen Hochzeiten gefeiert zu werden, insbesondere, wenn eine deutsche Reisegruppe dort etwas besichtigen will – in zwanzig Jahren wird man sich bei Durchsicht der Fotos fragen, wer die Menschen mit den Rucksäcken im Hintergrund wohl seien. |
Wir haben in Rom den Versuch unternommen, die Stadt in ihrem Gewordensein zu verstehen, und wir wollten begreifen, was der christliche Anteil an ihrer Geschichte war und ist. In S. Sabina fanden wir uralte und noch zaghafte Kreuzesdarstellungen, holzgewordener Glaube an einer Kirchtür. Die Bronzetür von S. Giovanni in Laterano gehörte einmal zur römischen Kurie auf dem Forum Romanum, ihre wenig subtile Machtdemonstration findet sich auch andernorts und wird durch die trutzige Engelsburg und die Größe des Petersplatzes eher noch unterstrichen. Zum heutigen Geist der Stadt gehören für uns jedoch definitiv auch Spaghetti und Pizza to go, Limoncello (verleiht ‚Italienisch to go‘), äußerst spontane Bahnstreiks (Stichwort „Ostia-Odyssee“), die Menschenmassen zwischen Forum Romanum und Colosseum, die haarsträubende Verkehrsregel-Auslegung, sagenhafte Sonnenuntergänge und natürlich caffè, caffè, caffè! |
Wir haben das spätantike Rom ein Stück weit verstehen können, da das Wissen über sakrale Architektur, zur spätantiken Gemeindeorganisation und Frömmigkeitspraxis, zu kirchenpolitischen und theologischen Auseinandersetzungen jetzt mit einem Ort verknüpfbar war. Gelerntes konnten wie nicht nur wiedererkennen, sondern am letzten Tag auch praktisch zur Anwendung bringen, als die Führung in den Vatikanischen Museen ausfiel und wir durch unser gesammeltes Wissen so im vatikanischen Museo Pio Christiano, das die weltweit größte Sammlung frühchristlicher Sarkophage enthält, selbst kleine Führungen für die Gruppe improvisieren konnten. Wir sind daran gewachsen, dass, neben dem erworbenen kirchengeschichtlichen Wissen, unser ganzes theologisches Repertoire immer wieder gefragt war, und konnten erleben, dass die urbs marmorea sehr lebendig ist und dass an jeder Ecke im Verborgenen des Stadtgetümmels etwas entdeckt und verstanden werden will. Für uns steht daher am Ende einer ereignisreichen, an-strengenden, aber wunderbaren Exkursion fest: Lernen erschöpft sich nicht im Bücherlesen – scientia quaerens usum.
Von Paulina Brosche und Wienke I. Meyer