Titel des Projekts
Der Wandel von Parteien in Westeuropa.
Organisationelle Reformen und funktionale Neupositionierungen von Großparteien in Dänemark, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz.


Betreuung des Dissertationsprojektes: Prof. Dr. Peter Lösche (Politikwissenschaft)

Gegenstand und Fragestellung des Forschungsprojektes

Der Wandel politischer Parteien in den westeuropäischen Demokratien ist Gegenstand der geplanten, vergleichend angelegten Arbeit. Die Entwicklungstendenzen von Parteien seit den 60er Jahren werden beschrieben und auf ihre Ursachen hin beleuchtet, wobei der Fokus der Analyse auf den innerparteilichen Strukturen und der politischen Rolle von Parteien liegt.

Wie und warum wandeln sich politische Parteien in Westeuropa?

Seit den 70er Jahren ist die Instabilität und der Wandel von Parteiensystemen das beherrschende Thema der Parteienforschung, wobei insbesondere der elektorale Wandel im Mittelpunkt des Interesses steht. Die Zunahme von Wechselwählern ohne feste Parteibindungen und die daraus folgende steigende Volatilität, sowie der Erfolg neuer Parteien zulasten der traditionellen Altparteien gelten als Indikatoren eines generellen Parteienwandels.

Relativ unberücksichtigt blieb jedoch das aktive Verhalten der einzelnen Parteien angesichts dieser neuen Herausforderungen. Wie reagieren komplexe politische Organisationen auf den Wandel ihrer sozialen und politischen Umwelt?

Passen sie sich adaptiv den veränderten Rahmenbedingungen an, suchen sie aktiv neue Positionen oder verharren sie auf ihren alten Strukturen und Prinzipien? Laufen statisch gewordene Parteien Gefahr ihre mediatisierende Rolle in einer dynamischen Umwelt zu verlieren?

Der Ansatz dieser Arbeit ist, das Handeln von Parteien als Ausdruck eines internen Entscheidungsprozesses zu verstehen, der innerhalb einer bestimmten Organisationsstruktur stattfindet, und der durch die Art dieser Struktur präformiert wird.

Um den Wandel von Parteien zu untersuchen, erscheint es mir daher sinnvoll, zunächst auf die Organisationsstrukturen der Parteien zu schauen. Lassen sich in der innerparteilichen Machtverteilung grundlegende Veränderungen ausmachen? Wie können diese erklärt werden?

Als zweiter Schritt wird dann überprüft, ob sich die politische Rolle von Parteien im politischen Prozeß gewandelt hat. Wie positionieren sich Parteien heute zwischen der gesellschaftlichen und der staatlichen Sphäre? Was liegt diesem Wandel zugrunde?

Bezug zum Forschungsprogramm des Graduiertenkollegs

In meiner Sicht liegt die Hochzeit des Europäischen Sozialmodells (ESM) in der Nachkriegszeit - speziell in den 60er und 70ern - und zeichnet sich durch einen grundlegenden Konsens aller maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte aus. Dieser Konsens erstreckte sich auf die zentralen Politikbereiche der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Expandierender Wohlfahrtsstaat und eine aktive interventionistische Rolle des Staates in die Ökonomie (Keynesianismus) sind die Grundpfeiler des Konsenses, Phänomene wie der Neokorporatismus deutliche Zeichen der gesellschaftlichen Kompromißsuche.

Aus politiologischer Sicht interessiert, wer die Träger dieses "post-war consensus" waren. Neben Verbände sind hier in erster Linie Parteien zu nennen, die aufgrund ihrer dominierenden Rolle in Parlamenten und Regierungen, wesentliche Motoren der Vermittlung von gesellschaftlichen Interessen und staatlichem Handeln waren. Es findet sich also ein institutionelles Gefüge von Parteien und Verbänden, das der Kompromißfindung konfligierender sozialer Interessen zugrundeliegt, und das dieses Konsensmodell auch legitimiert.

Die Parteienforschung geht davon aus, daß sich genau in dem "Hoch" des ESM ein neuer Typus Partei durchsetzte, die Volks- oder Allerweltspartei (Catch-all party). Die Neuerung besteht in der Aufgabe des "Lagerdenkens" welches die Massenparteien mit ihrer Verankerung in separaten sozialmoralischen Milieus prägte. Die Aggregation sozialer Interesse innerhalb einer Parteiorganisation wird zur zentralen Maxime des Parteienhandelns, unter der Zielsetzung der Stimmenmaximierung. Die neuen christdemokratischen Parteien CDU oder ÖVP sind Musterbeispiele dieser Entwicklung.

Es findet sich somit auf der Parteienebene eine Entsprechung des gesamtgesellschaftlichen Trends nach Kompromiß und Konsens. Alle gesellschaftlichen Großgruppen werden via Großparteien in den politischen Prozeß integriert; ihre Repräsentanten sind beteiligt in der Festlegung im gesellschaftlichen Konsens um Wohlfahrts- und Interventionsstaat.

Spätestens in den 80ern bröckelt dieses Modell jedoch. Neoliberale Deutungsmuster setzen sich durch und bedrängen den Wohlfahrts- und Interventionsstaat. Volksparteien verlieren Mitglieder und Wähler und können ihren Anspruch soziale Interessen verbindlich zu aggregieren und damit alle Bevölkerungsgruppen in den politischen Prozeß zu integrieren nur noch abgeschwächt einlösen.

Was geschieht mit dem ESM? Meine Untersuchung kreist um die Frage, ob die interessenvermittelnden Volksparteien der 60er und 70er Jahre ersetzt werden durch einen neuen Parteitypus, der über nur noch schwache gesellschaftliche Verankerung verfügt und sich zentral der staatlichen Sphäre zuwendet. Welche Rückwirkung hat eine solche Entwicklung auf die Zukunft der europäischen Suche nach gesellschaftlichem Konsens und Kompromißlösungen?

Methode und Vorgehensweise

Die Untersuchung ist als vergleichende Studie angelegt und wird jeweils zwei Großparteien in vier Ländern Westeuropas umfassen, deren Organisation und politische Funktionen für den Zeitraum 1960 bis 1999 analysiert werden sollen. Insgesamt wird ein neo-institutionalistischer Ansatz verfolgt. Theoretische Grundlagen, aus denen die Anfangshypothesen und Indikatoren der empirischen Analyse gewonnen werden, sind im wesentlichen die von Richard Katz und Peter Mair entwickelte Theorie von der Entstehung der Kartellparteien, sowie das von Autoren wie Klaus von Beyme und Jens Borchert vertretene Konzept der politischen Klasse.

Die empirischen Indikatoren werden in einem ersten Zugriff durch die Analyse von relevanter Sekundärliteratur und Parteiquellen (v.a. Parteistatuten und Berichte) untersucht. Offene Fragen und eine Einschätzung der generellen Befunde sollen dann mit länderkundigen Parteienforschern diskutiert werden, um weitere Informationen zu erlangen. Hierzu sind für Großbritannien Peter Mair (Leiden, NL), für Deutschland Peter Lösche, Jens Borchert (beide Göttingen) und Thomas Poguntke (Mannheim), für Dänemark Lars Bille und Henriette Nielsen (beide Kopenhagen) und für die Schweiz Andreas Ladner und Michael Brändle (beide Bern) vorgesehen bzw. bereits kontaktiert worden.

Stand des Forschungsprojektes

Bisher habe ich mich primär mit der Frage nach der Veränderung der Organisationsstrukturen und der damit verknüpften These von der Verschiebung der innerparteilichen Machtverteilung weg von den Gremien der Mitgliederpartei hin zu den Berufspolitikern in Parlament und Regierungen beschäftigt.

Hier scheint sich eine Entwicklung zu bestätigen, die Mitgliedern als Individuen größere Befugnisse einräumt (etwa durch Urwahlen zu personellen und politischen Fragen), diese damit aber der Gremienarbeit entzieht. Vorreiter scheint die Labour Party zu sein, aber auch in anderen Parteien sind ähnliche Tendenzen erkennbar.

Für die Parteien, die im sample die engsten formalen Beziehungen zu Gewerkschaften pflegten, nämlich Labour und die dänischen Sozialdemokraten, ist in den letzten Jahren ein radikaler Schnitt zu erkennen.