Ikonoklasmus ohne Ikonen?
Zur Wiederentdeckung einer anikonischen Tradition im spätantiken Christentum und wie der byzantinische Bilderstreit sie vergessen machte
Kreuzfresken im Gewölbe des Nordschiffs von Hagia Irene in Konstantinopel/Istanbul, nach 796±19 AD
Das Vorhaben hat im Wesentlichen zwei Ziele. Zum einen geht es um die frühchristliche Bildsprache von Konstantinopel und Kleinasien und darum, daß sie sich von anderen Regionen des spätrömischen Reichs unterschied. Insbesondere zeigte man in den spätantiken Kirchen von Konstantinopel und Kleinasien anscheinend keine monumentalen Heiligenbilder, sondern dekorierte stattdessen mit Kreuzen. Eine generelle Zurückhaltung bei figürlichen Darstellungen scheint auch darin zum Ausdruck zu kommen, daß die spätantiken Fußböden konstantinopolitanischer und kleinasiatischer Kirchen im Unterschied zu anderen Regionen zumeist aus Marmorplatten oder ornamentalen Mosaiken bestanden. Seltene figürliche Bodenmosaiken hatten typischerweise allegorischen Charakter und könnten überhaupt nur bestimmten Kontexten vorbehalten gewesen sein, zum Beispiel Baptisterien. So soll gezeigt werden, daß die spätantiken Kirchen von Konstantinopel und Kleinasien anscheinend einer anikonischen Tradition verpflichtet waren, die sie vom reichen figürlichen Dekor anderer Teile der frühchristlichen Oikumene unterschied.
Reliefkreuz und spätere, nachikonoklastische Fresken aus mittelbyzantinischer Zeit im Vierungsgewölbe der Yılanlı Kilise im Peristrema/Ihlara Tal von Kappadokien auf der zentralanatolischen Hochebene
Die Arbeitshypothese hat zum anderen auch weitreichende Konsequenzen für das Verständnis des byzantinischen Bilderstreits, der das oströmische Reich im achten und neunten Jahrhundert beschäftigte und bislang so ähnlich konzeptualisiert wird wie der reformatorische Bildersturm. ‚Ikonoklasten‘ hätten einen etablierten Bilderkult angegriffen und das orthodoxe Christentum dadurch in seinen Grundfesten erschüttert. Angesichts der oben beschriebenen anikonischen Tradition von Konstantinopel und Kleinasien scheint das so nicht zu stimmen, insbesondere wenn man bedenkt, daß sich das seit der Spätantike stark geschrumpfte byzantinische Reich im achten und neunten Jahrhundert im wesentlichen auf Konstantinopel und Kleinasien konzentrierte. Stattdessen soll untersucht werden, ob die anikonische Tradition bis ins achte Jahrhundert normativ geblieben und der Bilderstreit nicht durch ‚Ikonoklasmus‘ sondern im Gegenteil dadurch ausgelöst worden sein könnte, daß man Kultbilder als neuen Standard etablieren wollte.
Projektleitung: PD Dr. Philipp Niewöhner
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen einer eigenen Stelle 2019-2022: https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/406117376