Vorwort
Liebe Leserin und lieber Leser,
Europa verändert sich, hat sich verändert und wird es weiterhin tun. Das ist eine Banalität, aber die einzelnen Veränderungen zu erkennen, ist ein Problem und, sie zu steuern, ein nicht minderes.
Kirche und Theologie nehmen Einfluss auf Europa, auf das Zusammenwachsen Europas. Dass auch dieses Geschehen zurückwirkt, wird kaum erfasst und noch weniger reflektiert. Darum beschäftigen sich gleich mehrere Beiträge mit diesem Problem, und zwar in zwei für die christliche Gemeinde wesentlichen Bereichen, dem Gottesdienst und der Diakonie. Gemeinde, wissenschaftliches Symposion und Internet sind Foren der Veränderung.
Damit wird zugleich ein Anliegen der Informationes Theologiae Europae angesprochen, die Frage nach einer „humanen Wirtschaft“. Wenn das Zusammenwachsen Europas auf Kirche und Theologie zurückwirkt, bis in ihre zentralen Bereiche hinein Einfluss nimmt, dann sind Kirche und Theologie herausgefordert. Sonst kann es ihnen leicht ergehen wie vielen Arbeitnehmern heute. Sie zittern um ihre Arbeitsplätze, die auch sie selbst gefährden, indem sie täglich steigende Aktienkurse und gute Dividenden erwarten. Ein mehr oder weniger vages Ahnen um diese Zusammenhänge hat wohl die friedlichen Globalisierungsgegner erfasst. Sie nennen sich vielleicht deshalb so, weil die Wirtschaft ihren Arbeitsplatzabbau als Konsequenz der weltweit gewordenen Wirtschaft begründet und andere Gründe nicht nennt, denn kein Unternehmen will seine geschätzten Aktionäre verprellen. Die Wissenschaft von der Wirtschaft hat faktisch die Theorie der „sozialen Marktwirtschaft“ hinter sich gelassen – sie dürfte im ursprünglichen Sinne von Ludwig Erhard heute auch nicht mehr funktionieren –, um sich im wesentlichen auf betriebswirtschaftliches Controlling und Detailfragen zu konzentrieren. Die Politik reagiert nur auf die militanten Gegner, und dann mit polizeilicher Gewalt. Erstaunlich dabei ist auch, dass die, die hier nach Gegengewalt rufen, mit guten Gründen Gewalt und Gegengewalt im Kosovo, Nordirland, Palästina und anderswo kritisieren. „Humane Wirtschaft“ ist offenbar auch hier kein Thema. Das Jahrbuch, das dafür nun schon im 10. Jahr eintritt, wird damit zum wahren Aufklärer in einer Gesellschaft, die sich selbst gern als aufgeklärt bezeichnet.
Ihr
Ulrich Nembach
für die Herausgeber, Konsultatoren und Mitarbeiter
Inhalt
VORWORT
1. Vom Einfluß Europas auf Kirchengemeinden
CHRISTOPH D. MÜLLER
Kasus: Ereignis von öffentlichem Interesse.
Der „Kirchentalk“ als Gottesdienstgestalt
WOLFGANG RATZMANN
Evangelisches Gesangbuch und Evangelisches Gottesdienstbuch als liturgische Schritte auf dem Weg nach Europa
GERT HUMMEL
Neues aus Georgien
2. Zur Theologie der Gemeinden
KLAUS BÄUMLIN
Das Abenteuer einer langen Reise.
Predigen nach der lectio continua – ein Bericht aus der Praxis
CHRISTOPH KLEIN
Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien und ihr Beitrag zur lokalen und weltweiten ökumenischen Zusammenarbeit
REINHARD SCHMIDT-ROST
‚Preiswerte’ Predigt.
Einige Bemerkungen aus Anlass zweier deutscher Predigtpreise
DAGMAR LUDWIG
Theologie online.
Die „Göttinger Predigten im Internet“ und ihre Besucher – Momentaufnahme eines relationalen Geschehens
KLAUS SCHWARZWÄLLER
Die Rechtfertigungslehre
oder: Die unerwartete Antwort auf eine ungestellte Frage
3. Diakonische Ziele als Reaktion auf Europa
WANDA FALK
Diakonie als soziale Gestaltung für Europa nach der Erweiterung
– aus polnischer Sicht
JOACHIM GAERTNER
Die Europäische Union als Wertegemeinschaft zwischen Wettbewerbspolitik und sozialer Gestaltung
ANDREAS VON BLOCK-SCHLESIER
Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Diakonie in der Europäischen Union nach deren Erweiterung
4. Kirche, Kultur – miteinander, nebeneinander
4.1 Von Gemeinsamkeiten und deren Konsequenzen
JÖRG MARTENS
Erzählte Lebensgeschichten – Orte der Erinnerung.
Die Bedeutung lebensgeschichtlicher Erfahrungen in der kirchlichen Praxis
KLAUS-PETER WEINHOLD
Kirche und Tourismus.
Aspekte einer traditionsreichen Wechselbeziehung von Reisen und Religion
4.2 Vom gezielten Miteinander
ERNST ARFKEN
Der Diskus von Phaistos und die Psalmen
EBERHARD HARBSMEIER
Religion als kollektive Erinnerung oder die Zukunft der Religion in Europa
IGOR KIŠŠ
Die Besonderheiten in der Theologie von Comenius als Quelle seiner Bemühungen um die Allverbesserung
CHRISTINE REENTS
Ist der konfessionelle Religionsunterricht noch zeitgemäß?
JAMES SWEENEY
Prophets & Parables.
A future for Religious Orders
4.3 Vom unbewussten (?) nebeneinander
INA KARG
Deutschunterricht an Auslandsschulen.
Chancen der kulturellen Begegnung, Impulse für das Fach und seine Wissenschaft
HANS-RUDOLF WICKER - SABINE SCHOCH - THOMAS GASS - CHRISTOPH MÜLLER
Assimilation, Multikulturalismus, Integration
ANSCHRIFTENVERZEICHNIS