Titel des Projekts:
Die Erfolgsbedingungen einer konservativen Partei – der spanische Partido Popular
Betreuung des Dissertationsprojekts
Prof. Dr. Peter Lösche
(1) Fragestellung und Gegenstand
In der internationalen Parteienforschung haben bürgerliche Parteien (konservative wie christdemokratische) bislang weit weniger Beachtung gefunden als die organisierte Sozialdemokratie oder etwa auch extreme Parteien auf der Rechten. Dabei haben christdemokratische und konservative Parteien in Westeuropa nach 1945 in vielen Ländern in der Regierungsverantwortung entscheidenden Einfluß auf die Politikgestaltung genommen und gehören - meist im Konsens mit der Sozialdemokratie - zu den Vätern des Wohlfahrtsstaats der Nachkriegszeit. Das Forschungsdefizit ist noch eklatanter in den Ländern der südeuropäischen Transitionsgesellschaften der sogenannten Third Wave der 1970er Jahre (Griechenland, Spanien, Portugal) zu beobachten. Hier hatten es demokratische Rechtsparteien aufgrund der vorangegangenen Rechtsdiktaturen besonders schwer, sich im Parteiensystem zu etablieren. Und doch liegt mit der spanischen Volkspartei (Partido Popular) der Fall einer Partei vor, die eine beachtliche Erfolgsgeschichte vorweisen kann. Ihr gelang es, sich von einer postfranquistischen Splitterpartei in den 1970er Jahren während der 1990er Jahre zur hegemonialen Formation im spanischen Parteiensystem zu entwickeln, die seit 1996 die Regierung stellt und 2000 gar mit absoluter Mehrheit bestätigt wurde. Damit stand der Partido Popular in der EU lange Zeit allein, während die bürgerlichen Partnerparteien der Europäischen Volkspartei (EVP) in den etablierten Demokratien eine Krise durchliefen, die durch die Wahlsiege in mehreren Ländern nunmehr offenbar wieder abklingt. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Frage nach den Erfolgsbedingungen der spanischen Volkspartei. Aufgrund der Stabilität der Wahlerfolge über einen längeren Zeitraum hinweg und durchgehend auf allen Ebenen des europäischen Mehrebenensystems (kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene) gehe ich davon aus, daß konjunkturelle Erklärungsmuster zu kurz greifen und bei der Untersuchung der Erfolgsbedingungen von strukturellen Faktoren ausgegangen werden muß. Untersucht werden daher die Organisation der Partei und ihre Penetration der Zivilgesellschaft (politics-Dimension), ihre programmatische Position auf ausgewählten Politikfeldern (policy-Dimension) sowie die Wettbewerbsstruktur im spanischen Parteiensystem (Systemebene). Hier soll versucht werden, eine Gewichtung der Faktoren vorzunehmen: welcher ist besser geeignet, den Erfolg der Partei zu erklären? Ist dieser eher extern bedingt (durch die Schwäche der Konkurrenten im Parteiensytem zu erklären) oder vielmehr intern zu begründen (durch die eigenen Kapazitäten der Partei)?
(2) Forschungsprogramm
Der hier verfolgte Ansatz ist eher einem vorsichtig wettbewerbsorientierten zuzurechnen als einem soziologisch orientierten. Parteien werden als zwar von der Umwelt beeinflußte Akteure betrachtet, denen jedoch ein relativ großer Spielraum zur Verfügung steht, innerhalb bestimmter Grenzen eigenständig und strategisch zu handeln. Insbesondere für Transformationsgesellschaften mit langer Diktaturerfahrung wie in Südeuropa, mit neu entstandenen Parteiensystemen ohne größere Kontinuität zu früheren demokratischen Phasen sind soziologische Erklärungsmuster der Rolle von Parteien wenig fruchtbar. Hingegen muß die 'responsiveness' von Parteien auf Veränderungen in ihrer Umwelt als relativ hoch eingeschätzt werden. Wettbewerbsorientierte politische Parteien sind in Anlehnung an Harmel und Janda vor allen Dingen auf Stimmen- und Ämtermaximierung ausgerichtete Akteure, ein Kriterium, das sie erst von anderen gesellschaftlichen Akteuren wie Interessengruppen oder Bewegungen unterscheidet. Ausgehend von der weitgehenden Handlungsfreiheit der Partei und ihrer Fähigkeit zur strategischen Ausrichtung sind die ausgewählten möglichen unabhängigen Variablen zur Erklärung des Erfolgs der Partei möglichst nah an der Partei selbst liegend und daher 'politischer' Natur im engeren Sinne (s.o.).
Der methodische Ansatz im vorliegenden Forschungsvorhaben ist ein qualitativer. Abhängig von der untersuchten Variable kommen neben der eingehenden Auswertung von Sekundärliteratur die Quellen- und Dokumentenanalyse zum Tragen (Auswertung von Parteimaterialien und Presseveröffentlichungen). Zum anderen werden Experten-Interviews durchgeführt mit ausgewählten Mitgliedern der Parteizentralen.
Um eine Gewichtung der unabhängigen Variablen vornehmen zu können, bietet sich ein Vergleich mit einer zweiten Partei an. Hier soll der portugiesische Partido Popular (CDS/PP) als Pendant herangezogen werden. Portugal bietet den Vorteil, daß im Sinne des 'area approach' (Lijphart) viele Kontextvariablen konstant gehalten werden können. Die Auswahl der Rechtsparteien in Spanien und Portugal entspricht der 'comparable-case'-Strategie in homogenen geographischen Räumen, da die Kontextbedingungen weitgehend ähnlich sind bei größtmöglichem Unterschied im 'outcome': während der spanische PP sich von einer Minderheitspartei zur hegemonialen Partei im spanischen Parteiensystem entwickelt hat, stagniert der portugiesische PP bei vergleichbarer Ausgangslage nach wie vor bei 10% der Stimmen. Zu den stabilen Kontextfaktoren, die diesen Vergleich nahelegen, zählen vor allem die folgenden: a) sowohl Spanien als auch Portugal gehören zu den Ländern der sogenannten dritten Demokratisierungswelle der 1970er Jahre, die nach langjähriger Rechtsdiktatur einen Regimewechsel vollzogen; b) beide Länder verbindet ein ähnlicher soziokultureller Hintergrund (Sprache, Religion); c) beide Länder weisen ähnliche institutionelle Rahmenbedingungen auf: Regierungssystem, Wahlrecht; d) auf der Ebene des Parteiensystems fiel beiden Parteien eine ähnliche Ausgangsposition zu, da sie mit größeren bürgerlichen Konkurrenzparteien konfrontiert waren bzw. sind und beide als Rechtsaußenparteien innerhalb eines moderat fragmentierten Vier-Parteien-Systems mit zentripetaler Wettbewerbsstruktur gestartet sind; e) beide Parteien sahen sich als Rechtsparteien mit enger personeller Kontinuität zum früheren Regime und ohne historische Bezugspunkte zu einer demokratischen Rechten ähnlichen Legitimitätsproblemen gegenüber.
(3) Bezug zum Rahmenthema des Graduiertenkollegs
Parteien sind Teil und wesentliche Träger eines europäischen Sozialmodells insofern sie als intermediäre Institutionen zwischen Zivilgesellschaft und politischem System vermitteln. Die aktuelle Debatte über den Wandel von Parteien und Parteiensystemen, ihrem möglichen Wandel von partizipatorischen Mitgliederorganisationen hin zu "bonapartisierten" Parteien (Lösche, 1998) betrifft in der Regel die traditionellen Parteien in etablierten Demokratien in Westeuropa am stärksten und läßt damit auch die Grundlagen des europäischen Sozialmodells nicht unberührt. Mit dem Beitritt der Third-Wave-Demokratien zur Europäischen Gemeinschaft Mitte der 1980er Jahre jedoch haben neue Akteure die europäische Bühne betreten, weitere werden mit den osteuropäischen Transformationsländern in wenigen Jahren folgen. Die EU erweitert sich beständig und verändert sich damit: neue Modelle finden sich an ihrer Peripherie. Eine genauere Untersuchung von Parteien in den postautoritären Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union ist in diesem Zusammenhang in zweierlei Hinsicht sinnvoll. Auf der Politics-Ebene kann diese zu neuen und fruchtbaren Einblicken verhelfen in der Debatte um die "Erosion" von etablierten Modellen und Trägern sowie von möglichen Innovationen von seiten dieser neuen Akteure. Die spanische Volkspartei könnte in ihrer organisatorischen Verfaßtheit unter Umständen - zugespitzt argumentiert - einen südeuropäischen Parteientypus repräsentieren, der etwas von der möglichen zukünftigen Struktur von Großparteien in den etablierten Demokratien der EU vorwegnimmt.
Auf der Policy-Ebene kann die Untersuchung des Partido Popular Aufschluß geben über inhaltliche Veränderungen, die richtungsweisend sind für die etablierten Mitte-Rechts-Parteien und die EVP insgesamt, insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden ideologischen Unschärfe des bürgerlichen Lagers in Europa, in dem säkularkonservative Parteien wie der PP (aber auch Forza Italia u.a.) die langjährige Dominanz genuin christdemokratischer Parteien und deren programmatischen Einfluß abgeschwächt haben. So aufschlußreich die seit mehreren Jahren geführte Debatte um die Zukunft der Sozialdemokratie und die Impulse von seiten der "Dritte-Weg"-Vertreter um Tony Blair, so notwendig ist ein Beitrag über die mögliche Neuausrichtung der bürgerlichen Parteien in Europa und die vom PP und ihrem Vorsitzenden Aznar angestoßenen Entwicklungen auf seiten des zweiten großen politischen Blocks innerhalb der Europäischen Union.