Projektsteckbrief KLIMNEM
Nachhaltige Waldbewirtschaftung temperater Laubwälder - nordhemisphärische Buchen- und südhemisphärische Südbuchenwälder
Allgemeine Angaben
1. Verbundpartner:
- Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK)
- Fakultät Ressourcenmanagement, Büsgenweg 1a, 37077 Göttingen, Deutschland
- Abt. Pflanzenökologie und Ökosystemforschung, Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften, Untere Karspüle 2, 37073 Göttingen, Deutschland
- Abt. Kartographie, GIS und Fernerkundung, Geographisches Institut, Goldschmidtstraße 5, 37077 Göttingen, Deutschland
- Fakultät für Naturwissenschaften und Technik, Universitätsplatz 5, 39100 Bozen-Bolzano, Italien
Centro de Investigación y Extensión Forestal Andino Patagónico (CIEFAP), Ruta 259 Km 16,24, CC 14, Esquel (9200), Chubut, Argentina
2. Laufzeit: 01.09.2021 – 31.08.2024
3. Ansprechpartner:
Prof. Dr. Helge Walentowski, Tel. +49 551 5032-177, Email: Helge.Walentowski@hawk.de
Dr. Steffi Heinrichs, Tel. +49 551 5032-103, Email: Steffi.Heinrichs2@hawk.de
4. Projektträger: Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Bonn, Förderkennzeichen 28I-042-01, gefördert.
Projektbeschreibung
1. Projektziel
Übergeordnetes Ziel des Vorhabens ist der Vergleich von mitteleuropäischen Buchenwäldern (Fagus sylvatica) und den "Südbuchen"-Wäldern Mittelpatagoniens (Nothofagus spp.) und die daraus resultierenden Ableitungen für eine transhemisphärische und transkontinentale nachhaltige Waldbewirtschaftung gemäßigter Laub- und Laubmischwälder. Untersucht werden dabei die Anpassungen von Waldarten an den Klimawandel und ihre Reaktionen auf extreme Ereignisse und Störungen. Anfälligkeit und Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen werden verglichen. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen natürlichen Ereignissen (z.B. Waldbränden) und menschlichen Einflüssen in Form einer nicht-nachhaltigen Waldbewirtschaftung werden ebenfalls berücksichtigt. Auch die Potentiale und Risiken der Verwendung gebietsfremder Baumarten in diesen Lebensräumen werden bewertet und diskutiert. Schlussfolgerungen für ein funktionierendes natürliches Gleichgewicht, für die Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt, eine risikoarme Forstwirtschaft und die Wiederherstellung von Ökosystemleistungen, sollen als konkrete Handlungsempfehlungen aus den Ergebnissen des Projektes hervorgehen. Um die Ziele zu erreichen, ist im Rahmen des KLIMNEM-Projektes eine intensive Feldforschung in Mittelpatagonien vorgesehen und die Verschneidung mit Ergebnissen aus Mitteleuropa, die im Rahmen des Projektes NEMKLIM (Nemorale Laubwälder unter Klimaextremen; Laufzeit von 31.12.2017 bis 30.06.2021) in Westrumänien erarbeitet wurden.
2. Bisherige Ergebnisse aus Mitteleuropa – Projekt NEMKLIM
Im Rahmen des NEMKLIM-Projektes wurden in Westrumänien drei Untersuchungstransekte entlang eines Höhen- und somit Temperatur- und Feuchtigkeitsgradienten etabliert, die sich durch eine charakteristische Vegetationsabfolge von kollinen thermophilen Eichenmischwäldern (Quercetum frainetto-cerris) über mesophile Eichenmischwälder (u.a. Lathyro hallersteinii-Carpinetum) zu submontanen Buchenwäldern (Carpino-Fagetum und Festuco drymejae-Fagetum) auszeichneten. Westrumänien gilt als analoge Klimaregion für Mitteldeutschland, da die Temperaturen in den kollinen Lagen den Temperaturen entsprechen, die in ca. 50 Jahren für Mitteldeutschland erwartet werden. Die Höhengradienten lieferten daher im Rahmen eines „Raum-für-Zeit-Ansatzes“ wichtige Informationen über mögliche Veränderungen der Vegetations- und Baumartenzusammensetzung, die auch im westlichen Mitteleuropa mit dem Klimawandel erwartet werden können. Darüber hinaus wurden kausale Erkenntnisse über die Wachstums- und Reaktionsmuster verschiedener Baumarten nach extremen Dürreereignissen gewonnen, die im Zuge der globalen Erwärmung immer häufiger auftreten werden und die Entscheidungen für die Etablierung unterschiedlicher Baumarten beeinflussen können.
Die Erfassungen entlang der Höhentransekte in Westrumänien zeigten, dass bei Wald-innentemperaturen von ca. 30 °C zur Mittagszeit und Dampfdruckdefiziten von 25 hPa die Buche in der Verjüngung deutlich an Konkurrenzkraft verliert und ein Übergang zu eichendominierten Wäldern erfolgt. Außerdem wies die Buche deutlich stärkere Wachstumseinbußen in Folge von Trockenjahren auf als die Traubeneiche. Daraus kann auch im westlichen Mitteleuropa mit einem Übergang von Buchen- zu Eichendominanz unter steigenden Temperaturen gerechnet werden, was nach Ergebnissen des NEMKLIM-Projektes zu einer Abnahme der Kohlenstoffspeicherung im oberirdischen Baumbestand, aber einer Zunahme der Biodiversität führen wird, da durch die Temperaturerhöhung sowohl thermophile Waldarten aber auch naturschutzfachlich relevante Arten des Offenlands gefördert werden. Der Rückgang von Buchenwäldern wird aber auch zu einem Verlust typischer Kennarten der Buchenwälder führen, wenn nicht andere Baumarten die Habitatfunktion der Buche übernehmen können. Der Erhalt aller Ökosystemfunktionen der Wälder Mitteleuropas im Klimawandel wird demzufolge ein hohes Maß an Flexibilität in der Waldbewirtschaftung auf verschiedenen Skalen notwendig machen. Der Erhalt von Buchenwäldern sollte an mesoklimatisch günstigen Standorten Priorität haben, um die buchenassoziierte Lebewelt zu erhalten. Zukünftige Waldlandschaften aus Buchenwäldern und meso- und thermophilen Eichenwäldern, ergänzt durch weitere Baumarten, haben dann das Potential, die Biodiversität deutlich zu erhöhen. Der Preis für eine höhere Stresstoleranz, Regenerationskapazität und Biodiversität der Eichenwälder gegenüber Buchenwäldern sind aber auch ein geringerer Volumenzuwachs, geringerer Massenertrag und eine geringere C-Speicherung in der Biomasse. Eine Priorisierung gewünschter Ökosystemleistungen und eine effektive forstliche Planung werden somit in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Das Verständnis der Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die Vegetation in Wäldern wird im Rahmen des aktuellen KLIMNEM-Projektes durch einen transhemisphärischen Vergleich erweitert, um gleichlaufende oder abweichende Reaktionsmuster zu identifizieren und global gültige Handlungsoptionen abzuleiten.
3. Übertragung der Untersuchungsmethoden auf Mittelpatagonien
Das Vergleichsgebiet in Mittelpatagonien, das im Rahmen von KLIMNEM untersucht wird, umfasst das Einzugsgebiet des Río Puelo. Wie in Westrumänien sind die Vegetationsabfolgen durch Temperatur- und Feuchtigkeitsgradienten entlang der Höhe bedingt und können in großflächigen Naturwaldgebieten untersucht werden. Nach Vorarbeiten konnten hier bereits vier Höhentransekte für die Untersuchungen identifiziert werden. Vom Pazifik ins Landesinnere erfolgt eine Zonierung von immergrünen Sommerlorbeerwäldern des Küsten-Vorgebirges mit Nothofagus dombeyi (Coihue) und Eucryphia cordifolia (Ulmo; Nothofago-Eucryphion Oberd. 1960) zu Lorbeer-Nadelwäldern der Andenkordillere, in denen noch immer Nothofagus dombeyi dominiert, jedoch verstärkt Nadelhölzer (z.B. Podocarpus-Arten, Fitzroya cupressoides (Alerce), Austrocedrus chilensis) eingemischt sind (Nothofago-Winterion Oberd. 1960 -> Myrceugenio-Nothofagion dombeyi (Esk. 1999) Pollmann 2001 -> Austrocedro-Nothofagion dombeyi Esk. 1968). In der Höhenstufung wird der Lorbeer-Nadelwald nach oben hin in einer relativ scharfen Grenze vom subantarktischen Sommerwald, dominiert von der sommergrünen Baumart Nothofagus pumilio (Lenga) abgelöst (Nothofagion pumilionis Oberd. 1960 em. Freib. 1985). Diese Wälder ähneln den submontanen und montanen Buchenwäldern Europas in ihrer Physiognomie und Zusammensetzung der Lebensformen. Wie auch im Rahmen des NEMKLIM-Projektes, erlaubt der "Raum-Zeit-Substitutionsansatz" mit Erfassungen entlang der Niederschlags- und Höhengradienten die Untersuchung von Reaktionsmustern auf die wichtigsten klimabezogenen Steuerungsgrößen in der Region. Im Vergleich mit den Ergebnissen des NEMKLIM-Projektes aus Mitteleuropa können makroökologische Hypothesen auf ihre Allgemeingültigkeit hin geprüft und verifiziert werden, sowie regionale Abweichungen erkannt werden.
In Mittelpatagonien können zudem zusätzliche Erkenntnisse über Trockenstress und Klimaextreme gewonnen werden, indem 1.) der klimatische Feuchtigkeitsgradient in der halbtrockenen Steppenregion erweitert wird, 2.) der weitreichende Effekt der Einbringung fremdländischer Baumarten in Form industrieller Forstplantagen in der Region, und 3) die Sukzession nach Bränden untersucht wird. Während Waldbrände in der südlichen Nothofagus-Region Mittelpatagoniens seit jeher eine wichtige Rolle für die Vegetationsbildung und die ökophysiologische Konditionierung von Baumarten spielen, ist zu erwarten, dass Waldbrände in der Buchenwaldregion Mitteleuropas erst in Zukunft häufiger auftreten und sich intensivieren werden.
Fotos: Natalia Zoe Joelson
4. Vorgehensweise in Mittelpatagonien
Um die Projektziele zu erreichen, wurde das KLIMNEM-Projekt in sieben Projektmodule (PM 1 bis 7) mit unterschiedlichen Schwerpunkten unterteilt. Im Modul PM1 werden alle Schnittstellen zwischen den Hauptthemen des Verbundprojekts bereichsübergreifend koordiniert. Unter Verwendung von GIS-kompatiblen Multifaktormodellen und dem Einsatz von Multisensor- und Multiskalen-Fernerkundung wird im Modul PM2 zunächst ein adaptives integriertes Dateninformationssystem (AIDIS) entwickelt, um einen "Datenwürfel" für das Einzugsgebiet des Río Puelo zu erstellen. Auf der Grundlage einer vorhandenen Vegetationskarte des Gebiets aus dem Jahr 1979 werden Modelle entwickelt, um die potenzielle natürliche Vegetation unter den derzeitigen Standortbedingungen (h-PNV) und künftigen Klimaszenarien (z-PNV) in hoher Auflösung zu modellieren. Die Modelle werden außerdem für die Vorhersage des Waldbrandrisikos angepasst (Risiko- und Potentialanalyse der Landschaft). Die Modellierungen werden im Rahmen von PM3 kalibriert und überprüft, in dem der Landschaftsraum umfassend vegetationsökologisch charakterisiert wird. Die Auswirkungen von Extremereignissen auf die Artenzusammensetzung und die Dynamik von Wald-Phytozönosen werden dabei besonders berücksichtigt, wie auch die Ausbreitung invasiver fremdländischer Baum-, Strauch- und Krautarten aufgrund anthropogener Landnutzungsänderungen. Im PM4 wird die Anfälligkeit und Widerstandsfähigkeit der wichtigsten Baumarten untersucht und kausal erklärt (Vitalitätsanalyse der Baumarten). Dabei stehen die vier wichtigen patagonischen Baumarten Nothofagus antarctica, N. pumilio, N. dombeyi und Autrocedrus chilensis im Fokus und werden dendrochronologisch untersucht. Vergleichend werden aber auch wichtige fremdländische Baumarten (u.a. Pinus-Arten sowie Pseudotsuga menziesii) untersucht. Ziel ist die Ermittlung artspezifischer Niederschlags-Schwellenwerte jenseits derer mögliche Zuwachsrückgänge oder eine erhöhte Klimasensitivität des Zuwachses auftreten. So kann eine potenzielle Gefährdung durch den Klimawandel erkannt und die waldbauliche Behandlung angepasst werden. Im PM5 liegt der Fokus auf vorhandenen Degradationsstadien der Wälder, die nach Waldbränden oder Übernutzung zurückbleiben. Unter weitgehender Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bevölkerung werden Optionen zur Wiederherstellung von Ökosystemleistungen entwickelt. Zur Anpassung der Wälder an die veränderten Klima- und Landnutzungsverhältnisse ist hier auch die Einbringung heimischer Laubbaumarten aus wärmeren Regionen Patagoniens vorgesehen. So sind z.B. Wiederaufforstungen von Brandflächen und Anreicherungspflanzungen in degradierten Wäldern mit Roble pellín (Nothofagus obliqua) und Raulí (Nothofagus procera, Synonym: N. alpina) geplant. Aus der Zusammenschau der Ergebnisse sollen im PM6 konkrete Handlungsempfehlungen und -strategien zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel und an Extremereignisse abgeleitet werden. Alle Informationen fließen darüber hinaus in ein regionales Informationssystem (PM2) ein und werden zur allgemeinen Nutzung zur Verfügung gestellt. Das Projekt sieht außerdem eine umfassende Kommunikation durch Öffentlichkeitsarbeit und Veröffentlichungen vor (PM7). Auf einer neu gestalteten Projekt-Webseite werden zudem alle wichtigen Ergebnisse veröffentlicht (zukünftig erreichbar unter https://klimnem.hawk.de/)
5. Nutzen
Das Projekt eröffnet neue globale Perspektiven für die Reaktions- und Anpassungsmuster der Vegetation gemäßigter Wälder auf Landnutzung und Klimawandel. Aus dem Ansatz der multilateralen, transhemisphärischen und transkontinentalen Forschungszusammenarbeit und des Wissensaustauschs lassen sich durch die Zusammenschau der Ergebnisse aus Mitteleuropa und Mittelpatagonien wertvolle und wichtige Schlussfolgerungen für die internationale nachhaltige Waldbewirtschaftung und die Anpassung der Landnutzung an die globale Erwärmung und an häufiger auftretende Extremereignisse ziehen. Für die lokalen Akteure in Mittelpatagonien steht die Bereitstellung eines regionalen und frei nutzbaren Informationssystems zur Ableitung möglicher Bewirtschaftungsoptionen im Vordergrund. Die Erfahrungen zum Umgang mit Degradationsstadien können auch in Mitteleuropa unter einer steigenden Waldbrandgefahr an Bedeutung gewinnen.
Kontakt: Prof. Dr. Martin Kappas