Ehrensymposium anlässlich des 100. Geburtstags von em. Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Hövermann
Der Jubilar em. Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Hövermann (100) im Gespräch mit seiner Nach-Nachfolgerin Prof. Dr. Daniela Sauer (51)
auf dem Göttinger Lehrstuhl für Physische Geographie. Foto: Prof. Dr. Frank Lehmkuhl
Ein wahrlich ungewöhnlicher Anlass führte am Freitag, den 1. April 2022, etwa 60 Geographinnen und Geographen in den Räumlichkeiten der Fakultät für Geowissenschaften und Geographie der Georg-August Universität auf dem Göttinger Nordcampus zusammen. Gemeinsam mit zahlreichen weiteren, per Videokonferenz z.T. auch aus dem Ausland zugeschalteten Gästen wurde der 100. Geburtstag des emeritierten Kollegen Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Hövermann in Form eines Ehrensymposiums begangen.
Jürgen Hövermann wurde am 15.3.1922 in Muschaken (Ostpreußen) geboren. Nach einer Kriegsverletzung studierte er ab 1943 an den Universitäten Wien, Hamburg, Freiburg und Göttingen und schloss 1947 in Göttingen seine Dissertation in der Geographie bei Prof. Dr. Hans Mortensen über den Mittelharz ab. Nach einer Assistentenzeit war er ab 1951 als Privatdozent und außerplanmäßiger Professor an der Universität Göttingen tätig, bevor er 1960 einen Ruf auf einen Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin annahm.
Jürgen Hövermann hat seit den 1960er Jahren von der FU Berlin aus die Wüstenforschung insbesondere in der Geomorphologie, aber auch generell in der physischen Geographie wie auch in ihren Nachbardisziplinen entscheidend vorangebracht und angeregt. Hervorzuheben ist dabei die Gründung der Forschungsstation Bardai im Tibestigebirge der zentralen Sahara (Tschad) 1964/65. Die Pionierarbeiten aus dieser Zeit wurden dann später in Berlin und Würzburg fortgesetzt und haben die Forschung in ariden Gebieten bis in die Gegenwart hinein maßgeblich mitgeprägt.
Von 1971 bis 1990 war Jürgen Hövermann Ordinarius an der Universität Göttingen. Neben (paläo)klimatischen und geomorphologischen Untersuchungen in vielen Teilen der Welt sind aus dieser Zeit besonders seine grundlegenden Forschungen in Tibet und in den Wüsten Chinas zu nennen. So fuhr er auf eigene Initiative 1978 nach China und leitete 1981 die erste wissenschaftliche chinesisch-deutsche Expedition seit dem 2. Weltkrieg nach Tibet. Spätere Expeditionen führten ihn in die Wüsten Chinas sowie mehrfach wieder nach Tibet. Ab Mitte der 1980er Jahre war er - auch nach seiner Emeritierung - noch bis 1995 einer der maßgeblichen Projektleiter in einem großen Paläoklimaverbundprojekt des BMBF. Dabei wurden neben der Erstellung eines Paläoklima-Atlasses der Nordhemisphäre u.a. auch Proxidaten für Klimamodelle der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Klaus Hasselmann am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg erhoben.
Nach einer Reihe verschiedener Auszeichnungen wie z. B. der Gustav-Nachtigal-Medaille der Gesellschaft für Erdkunde im Jahr 1992 und der Ehrendoktorwürde der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Jahr 2004 wurde Herrn Prof. Hövermann für sein Lebenswerk 2021 die höchste Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Geomorphologie, die Goldene Ferdinand-von-Richthofen-Medaille, verliehen.
Das Ehrensymposium am 1. April wurde im Sinne des zu Ehrenden und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Form von drei eingeladenen wissenschaftlichen Vorträgen gehalten. Es wurde gemeinsam organisiert von der Nach-Nachfolgerin Herrn Prof. Hövermanns auf dem physisch-geographischen Lehrstuhl in Göttingen, Professorin Dr. Daniela Sauer sowie dem letzten wissenschaftlichen Assistenten von Herrn Prof. Hövermann in seiner aktiven Dienstzeit in Göttingen, Prof. Dr. Frank Lehmkuhl (derzeit RWTH Aachen). Neben dem Jubilar und seiner Familie nahmen zahlreiche Weggefährten und Schüler teil. Durch die Online-Übertragung der Veranstaltung konnten auch Kollegen in China und in der Mongolei das Symposium live verfolgen.
Der erste Vortrag von Prof. Dr. Frank Lehmkuhl hatte Jürgen Hövermanns Beiträge zur geomorphologischen Landschaftsanalyse und die weitere Entwicklung im 21. Jahrhundert zum Thema.
Nach einer kurzen Würdigung konnte dabei der Bogen von den Forschungen Hövermanns in der Sahara und in China bis zu neuesten Ergebnissen zur Paläoklimaforschung und zur geomorphologischen Prozessforschung gespannt werden. Es folgte ein inspirierender Vortrag von Prof. Dr. Georg Miehe (Universität Marburg) mit dem Titel „Quellensuche“, eingeleitet mit den Worten: „Für viele von uns ist dieses Gebäude Erinnerungsort der akademischen Adoleszenz ...und es ist eine freundliche Gelegenheit zu überlegen, aus welchen Quellen wir getrunken haben ...es geht hier um den Versuch herauszuschälen, was uns antreibt.“ Dieser Versuch gelang Georg Miehe in eindrucksvoller Weise in seiner Rede, in der es um die Antriebskraft der Neugier, das akademische Lehrer-Schüler-Verhältnis, Begeisterungsfähigkeit und wissenschaftliche Streitkultur ging, unter Einbettung passender Zitate von Goethes Faust bis Odyssee.
Den Abschluss des Vortragsblocks bildete ein Beitrag von Dr. Stefan Kröpelin (Universität zu Köln) zum Stand der Tibesti-Forschung ein halbes Jahrhundert seit den Pionierarbeiten von Jürgen Hövermann. In seinem Vortrag mit faszinierenden Bildern und neuesten Forschungsergebnissen aus dem höchsten Gebirge der zentralen Sahara steckte Stefan Kröpelin die Zuhörer an mit seiner Begeisterung für diese landschaftlich beeindruckende Region der zentralen Sahara und ihre Menschen.
Etwa die Hälfte der Gäste nahm am Samstagvormittag noch an einer halbtägigen Exkursion zum Hohen Hagen teil. Dort stellte Dr. Michael Klinge (Göttingen) zunächst ein Bodenprofil aus eiszeitlichen Fließerden über oligozänen Sanden vor. Diese Sande sind dort im Schutz des miozänen Basalts, der die Kuppe des Hohen Hagen und der benachbarten Hügel bildet, erhalten. Mit dem Panoramablick von der Aussichtsplattform des Gaußturms aus über die Umgebung und einer wärmenden Suppe am verschneiten Gaußturm-Kiosk wurde die Veranstaltung beendet.
Alles in allem war es also eine Mischung aus wissenschaftlichen Beiträgen und herzlichem Wiedersehen ehemaliger Weggefährten, teilweise nach langer Zeit. Besonders die persönliche Teilnahme von Jürgen Hövermann, das Wiederaufleben der Erinnerungen an gemeinsam erlebte Expeditionen und gemeisterte Herausforderungen, sowie die anregenden Vorträge gaben Anlass zu zahlreichen intensiven Gesprächen während des Symposiums, beim anschließenden gemeinsamen Abendessen sowie auf der Exkursion am nächsten Tag. Dieses Ehrensymposium, das in sehr persönlicher Atmosphäre in der Art eines wissenschaftlichen Familientreffens verlief, wird auf jeden Fall bei allen Teilnehmern in guter Erinnerung bleiben.
Die Exkursionsgruppe beim Abschluss der Veranstaltung auf dem Hohen Hagen bei Göttingen. Foto: Dr. Steffen Möller