Akademischer Besuch aus Finnland zu Gast in Göttingen
Dr. Heta Hurskainen ist Assistenz-Professorin für Systematische Theologie an der Universität Ostfinnland in der Stadt Joensuu mit dem Schwerpunkt auf ökumenischen Fragestellungen. Sie ist außerdem ordinierte Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands. Von Ende August bis Ende November lebt und arbeitet sie in Göttingen, um ein neues, ökumenisches Forschungsprojekt zu initiieren.
Herzlich Willkommen in Göttingen! Du wirst hier nun für einige Wochen leben. Wie war deine Ankunft? Bist du das erste Mal in Deutschland?
Dankeschön! Mein Ankunft lief einfach perfekt. Es war alles von Seiten der Fakultät durch Frau Barton und Frau Wasmuth so gut organisiert worden. Vielen Dank! Ich mag auch die historische Altstadt von Göttingen wirklich sehr mit diesen spezifisch-deutschen Fachwerkhäusern. Ich bin zum ersten Mal in Göttingen, wenn ich auch schon viele Male in Deutschland gewesen bin. Es war also Zeit hier herzukommen.
Es war Zeit nach Göttingen zu kommen? Was ist der Anlass für deinen Aufenhalt?
Göttingen hat einen Forschungsschwerpunkt auf Orthodoxen Kirchen. Zu meiner Fakultät in Joensuu besteht eine Erasmus-Partnerschaft und der vormalige Professor Martin Tamcke hat durch Joensuu die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen. Es ist Zeit gewesen, persönlich Göttingen kennenzulernen und die Freudnschaft zwischen den beiden Fakultäten fortzuschreiben. Ich habe eine Idee, um ein neues Forschungsprojekt zu beantragen. Hier in Göttingen habt ihr eine gut ausgestattete Bibliothek, was sehr hilfreich ist. Und ich kann hier vor Ort persönlich das Projekt mit Frau Wasmuth diskutieren. Es soll eine multidisziplinäre, internationale Kooperation werden. Daher möchte ich Ende November hoffentlich ein fertiges Konzept für das Projekt und eine sichere Finanzierung aufgestellt haben.
Womit wird sich das Forschungsprojekt befassen?
Es ist über russische und ukrainische Migranten, die in demokratischen Ländern leben. – Nein, mehr kann ich dir zum jezigen Zeitpunkt noch nicht verraten. Den Rest gilt es abzuwarten. (Lächelt)
Und worin liegen allgemein die Schwerpunkte deiner Forschung?
Ich bin systematische Theologin. Anders als in Deutschland ist die Ökumenische Theologie dort und nicht in der Kirchengeschichte angesiedelt. Ich betrachte also ökumenische Problemstellungen aus systematischer Perspektive und versuche sie in einen interdisziplinären Zusammenhang zu kontextualisieren. Ich habe mich unter anderem mit der Russisch-Orthodoxen Kirche und ihrer nationalen und ekklesiologischen Identität beschäftigt. Über die Beziehungen zwischen der ukrainischen und russischen Orthodoxie habe ich kürzlich auf Finnisch ein Buch veröffentlicht. In dem Kontext habe ich Frau Wasmuth kennengelernt. Wir haben ähnliche Forschungsinteressen und sind beide Mitglieder der Internationalen Luterisch-Orthodoxen Kommission des Lutherischen Weltbundes.
Zu Beginn hast du erzählt, dass du Deutsch sprichst. Wo hast du Deutsch sprechen gelernt?
In Greifswald.
Aus welchem Grund bist du in Greifswald gewesen?
Ich bin dort von 2010 bis 2012 gewesen. Nachdem ich den Master in Theologie abgeschlossen hatte, war ich als Pastorin tätig und bereitete meine Bewerbung auf eine PHD-Stelle vor. Später erhielt ich ein Stipendium von der Deutschen Forschungsgesellschaft an der Universität von Greifswald. Wir vereinbarten ein zweifach-betreutes („cotutelle“), binationales Dissertationsvorhaben. Meine Promotion beschäftigte sich mit ökumenischer Sozialethik. Mein deutscher Erstbetreuer war Prof. Dr. Heinrich Assel und mein finnischer Erstbetreuer war Prof. Antti Raunio.
Du hattest die Erasmus-Kooperation zwischen Göttingen und Joensuu angesprochen. Wie können wir uns Joensuu vorstellen?
Die Stadt liegt in einer flachen Ebene. Genauer gesagt, sie liegt dort, wo ein Fluss in einen See mündet. Das ist auch die eigentliche Bedeutung des Namens Joensuu. Der See ist sehr groß und der Fluss wunderschön. Die Stadt selbst ist aber nicht so alt wie Göttingen. Sie wurde im 19. Jhd. erbaut.
Wieso würdest du Studierenden empfehlen nach Joensuu zum Studieren zu kommen?
Es ist ein wirklich schöner Ort. Besonders ist, dass unsere Fakultät sowohl westliche als auch östliche Theologie anbietet. Das ist für Finnland einzigartig und ich will behaupten auch im Allgemeinen nicht typisch. Wir haben unter anderem ein Programm namens „Studies in Religion and Theology“ im Umfang von 30 Credits, welches auf Englisch angeboten wird. Es ist letzten Endes nicht nötig Finnisch zu erlernen. Jedem Studierenden würde ich empfehlen, einmal im Ausland zu studieren.
In Finnland gibt es drei Orte, an denen lutherische Theologie studiert werden kann: Turku, Helsinki und Joensuu. Die Universität Ostfinnland ist auf zwei Städte aufgeteilt. Der Geisteswissenschaftliche Campus mit Studiengängen wie Jura, Lehramt, Geschichte und Psychologie ist in Joensuu angesiedelt, der Naturwissenschaftliche Campus im 130 km entfernten Kuopio. Jedes Semester beginnen ungefähr 50 Studierende Theologie zu studieren entweder im Januar oder im September. Die Studierenden-Szene in Joensuu ist wirklich lebendig
Worin liegt der Unterschied Theologie zu studieren in Finland oder Deutschland?
Nun, die Kirche hat keinerlei Einfluss auf die akademische Theologie und wir haben ein Bachelor-Master-System. Es gibt auch kein großes Examen am Ende, sondern die Studierenden schreiben eine Masterarbeit.
Denkst du, dass die deutsche und die finnische Theologie voneinander lernen können?
Ja, auf jeden Fall. Keine ist in meinen Augen besser als die andere. Auch wir in Finnland haben die typischen fünf Fachbereiche. Aber unsere Lehrstühle sind nicht so deutlich voneinander abgegrenzt. Ich sehe die Stärke der deutschen Theologie darin, in ihrer strikten Fokussierung die Tiefe von Sachverhalten ergründen zu können. Wir, insbesondere in Joensuu, fokussieren mehr die interdisziplinären Zusammenhänge. Es ist gut die Stärken von beiden miteinander zu vereinen.
Du hast uns einen Eindruck gegeben von deinem akademischen Werdegang und deinen Forschungsschwerpunkten. Wie bist du zum Theologiestudium gekommen? Wo bist du aufgewachsen?
Ich wurde in der Stadt Varkaus geboren. Das liegt ungefähr 120 km von dem Ort entfernt, wo ich jetzt arbeite.
Ich wurde als Kleinkind getauft, aber bin in einer sehr säkularen Familie aufgewachsen. Wir sind nicht in den Gottesdienst gegangen. Aber meine Eltern waren kulturell sehr interessiert und wollten uns damit und auch mit der finnischen, religiösen Kultur vertraut machen. Wir haben viele Ausflüge zu Klöstern und Kirchen gemacht – auch zu orthodoxen –, aber nur zu Besuch.
Was hat deine Beziehung zur Religion verändert?
Es war sehr populär als Jugendlicher, wenn du 15 Jahre alt wirst, auf Konfirmandenfahrt zu gehen. Das war weniger eine Konfirmandenschule als eine Jugendfreizeit. Es waren immer mehr Jugendliche dort, als wirklich zur Kirche gehörten. Diese Konfirmandenfahrt hat meine Sicht gewandelt und mein
Interesse am christlichen Glauben, an meiner Kirche und Theologie grundsätzlich geweckt. Um den Master zu absolvieren, braucht es normalerweise 10 Semester, aber ich brauchte nur acht. Ich war so enthusiastisch dabei. Daher war ich eine der jüngsten Pastorinnen in Finnland überhaupt.
Wir sprachen auch über das Leben in Finnland und Deutschland im Allgemeinen. Hast du jemals schon mal Rentiere gesehen?
Ja, sowohl Rentiere als auch Elche. Wobei man Rentiere eher im Norden Finnlands als in Joensuu antrifft. Oh, und es ist möglich Polarlichter zu sehen. Die beste Zeit dafür ist von September bis März.
Gibt es einen Ort in Deutschland, den du gerne noch besuchen würdest?
Die Alpen. Ich war schon einmal dort und würde gerne wieder dorthin fahren. Sie sind wunderschön.
Wie verbringst du deine Freizeit?
Im September war ich auf der Europäischen Meisterschaft im Dressurreiten, welche in Deutschland dieses Jahr stattgefunden hat.
Hast du ein deutsches Lieblingsessen?
Ich esse fast vollständig vegetarisch und es ist schwer ein typisch deutsches, fleischloses Gericht zu finden, geschweige denn in Finnland. Nun, ich esse sehr gerne Eis. „Einen Eisbecher, bitte!“ (Lächelt)
Bevorzugst du Wein oder Bier? Weißwein. Nichtsdestotrotz habe ich in Deutschland schon sehr gutes Bier getrunken. Das hört man in Deutschland gerne. Isst du lieber Karamell oder Lakritz? Karamell. Trinkst du lieber Tee oder Kaffee? Tee, ich trinke keinen Kaffee. Das heißt, wenn man dich zum Essen einladen will, sollte es Grünen Salat, Weißwein und Eis geben. Ja, das wäre perfekt. (Lachen) Vielen Dank für deine Zeit und dieses freundliche Gespräch. Ich wünsche dir alles Gute für deinen weiteren Aufenthalt in Göttingen! |
Das Interview mit Dr. Heta Hurskainen wurde am 19. September 2023 auf Englisch mit Leander Knoop, Studentische Hilfskraft von Prof. Dr. Jennifer Wasmuth, durchgeführt. Sie können Frau Hurskainen in Zimmer 2.191 in der Theologischen Fakultät antreffen.