Göttinger Archäologen rekonstruieren historische Siedlungsweisen und ökonomische Strukturen des antiken Sizilien
Seit dem 23. August arbeitet eine Gruppe von 14 Göttinger Archäologen unter der Leitung von Prof. Johannes Bergemann in der Provinz Agrigent, Sizilien.
Ziel ist es, die Siedlungsweise im Hinterland der antiken Stadt Akragas großflächig zu rekonstruieren. Dazu werden 300 qkm im mittleren und oberen Einzugsgebiet des Flusses Platani systematisch begangen. Es werden keine Ausgrabungen, sondern Oberflächenbegehungen durchgeführt, und das an der Oberfläche sichtbare Fundmaterial aufgelesen. Durch diese „Survey“ genannte Methodik können in großen Gebieten historische Siedlungssysteme rekonstruiert werden.
Nach einer vorbereitenden Kampagne 2008 und einer ersten Surveykampagne 2009 ist dies der dritte Aufenthalt der Gruppe in dem Gebiet. Dabei sind bisher knapp 200 Siedlungsstellen zwischen der Bronzezeit und dem Mittelalter identifiziert worden.
Sizilien ist als die Insel der Griechen, ihrer Tempel und Städte, die an den Küsten liegen, im Bewußtsein. Das Projekt zielt jedoch auf das Zentrum der Insel, wo seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. die einheimische Bevölkerung in Kontakt mit den Griechen trat. Dabei gab es konfrontative und friedliche Kontaktaufnahmen. Die Einheimischen waren den Griechen in vielen Belangen ebenbürtig und es gab wechselseitige Interessen, die für ein Zusammenleben sprachen und langfristige kulturelle Rückwirkungen der Kontakte auf beiden Seiten.
Während die Griechen im Zuge ihrer Polisbildung (8.-6. Jh. v. Chr.) Siedlungsformen aus urbanen Zentren und Einzelgehöften ausgebildet hatten, siedelten die einheimischen Sikeler und Sikaner in zentralen Höhensitzen. Im Zuge der Arbeiten der Göttinger Archäologen ist es gelungen, eine solche indigene Höhensiedlung in einem archäologisch bisher unerforschten Gebiet zu identifizieren. Auf einem dominanten Kegelberg wurden indigene und importierte griechische Keramik, Mauerzüge einer Siedlung und Gräber entdeckt.
Das Zentrum war durch historische Strassenverbindungen mit benachbarten Siedlungen und den Griechen an der Küste verbunden. Daran sind Fundstellen aufgereiht, die eine kulturelle Kontaktaufnahme zwischen beiden Gruppen anzeigen. Wichtige Punkte in der Landschaft, Strassenkreuzungen oder Flussübergänge wurden durch sakrale Orte markiert und erhielten dadurch eine sakrale Aura. An zwei derartigen Stellen konnten die Göttinger Archäologen kleine, bisher unbekannte Heiligtümer entdecken.
Eine besonders dichte Siedlungsstruktur zeichnet sich in der römischen und spätantiken Zeit (300 – 700 n. Chr.) ab. In dieser Zeit prägten produktive, landwirtschaftliche Villen und ländliche Kleinstädte das Bild. Der wichtigste Siedlungsplatz in dem ganzen Gebiet war eine Kleinstadt bei dem heutigen Ort Cianciana, der seinen Bewohnern eine beachtliche Lebensqualität bot. Dort sind Wasserleitungen aus Blei und Reste von Mosaikfußböden bekannt, sowie große Mengen an terra sigillata, römischer Luxuskeramik.
Im Umkreis dieser ländlichen Grossiedlung wurde nun eine Ölmühle der spätantiken Epoche entdeckt. Die Reinigung der Ruine durch die Göttinger Archäologen ergab einen etwa 6 mal 9 Meter großen Raum, der mit Ziegeln gedeckt war. Darin wurden Reste einer antiken Ölpresse gefunden. Dadurch wird die grundlegende ökonomische Bedeutung des Olivenanbaus auf Sizilien in der Antike deutlich.
Die Göttinger Archäologen gehen weiteren ökonomischen Tätigkeiten der antiken Bewohner in diesem Gebiet nach. Möglicherweise war sie wegen der auch in der Neuzeit ausgebeuteten Schwefelvorkommen bereits in der Antike eine wichtige Rohstoffe exportierende Gegend.
Das Projekt wird von der Gerda-Henkel Stiftung (Düsseldorf) finanziert und in Zusammenarbeit mit der Soprintendenza ai Beni Culturali e Ambientali di Agrigento sowie den lokalen Behörden durchgeführt. Die geodätischen Arbeiten werden von der Hochschule Bochum vorgenommen.
Siehe auch: Presseinformation Nr. 179/2010 - 14.09.2010: Göttinger Archäologen rekonstruieren historische Siedlungsweisen auf Sizilien