Schwerpunkt "Repräsentation der Migration"
Obwohl auf den hiesigen Bühnen seit wenigen Jahren eine offizielle Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland stattfindet, wird die Repräsentation der Migration und ihrer Akteure in aller Regel von einem nationalen Blickregime bestimmt. Während die Migration insbesondere entlang Viktimisierungs-, Kriminalisierungs- und Exotisierungsrhetoriken diskursiviert wird, setzt sich die nationale Gesellschaft perspektivisch als sesshafte, homogene, stabile Normalität immer wieder erneut ins Zentrum. Die nationale Perspektive rekurriert auf Dispositive, die zur Imagination und Durchsetzung nationaler und kolonialer Projekte entworfen und praktiziert wurden.
Damals wie heute wird Kultur – im Sinne von vermeintlich gruppenspezifischen Werten, Tradierungen und Praktiken – als Materialisierung von vermeintlich nationalen Eigenheiten betrachtet und unterschieden. Dementsprechend werden symbolische und materielle Gegenüberstellungen und Hierarchisierungen zwischen einer vermeintlichen „Leitkultur“ und fremden „Anderskulturen“ möglich und somit Distanzen und Differenzen bestimmbar, die in der Folge soziale Sortierungen und den Zugang zu Artikulations- und Handlungsmöglichkeiten mitdefinieren. Gleichzeitig schafft dieses Verhältnis gesellschaftliche Wissensbestände und somit – wenn auch immer wandelbare – Definitionen über Ein- und Ausschlüsse sowie über Sichtbarkeiten und blinde Flecken. Gerade die Wissenschaften ko-produzieren hierbei oft konzeptuell und konkret mit ihren Zielsetzungen, Forschungsagenden und Methoden die Dispositive, welche die Migration entsprechend der gängigen Repräsentation als Störung und Problem, als Fremdheit und kulturelle Andersheit oder als Objekt des Integrationsimperativs unter Leistungs- und Bereicherungslogik in den Fokus rücken.
Als Terrain von Wissensregimen und hegemonialer Praxis sind Repräsentationsorte (wie Kulturinstitutionen), -inhalte (wie etwa Koffer) und -politiken sind jedoch umkämpfte Zonen und in ständigem Wandel, ausgehandelt von unterschiedlichsten Akteuren sowohl des „Zentrums“ als auch der „Ränder“. Aus dem Zusammenspiel von migrantischen Selbsteinschreibungsprojekten, kritisch wissenschaftlicher Begriffsbildung, neoliberalen Politiken und Anforderungen sowie knappen Budgets der Institutionen sind mittlerweile neue Akteurskonstellationen und eine Veränderung der gängigen Geschichtsnarrative scheinbar möglich geworden. Aus einer kritisch analytischen Perspektive gilt es jedoch, den Repräsentationen hinsichtlich der Kontexte ihrer Produktion, Funktionen, Wirkweisen und Implikationen sowie ihrer Akteure mit den unterschiedlichen Rationalitäten, Zugängen und Politiken und schließlich den Orten nachzugehen, an denen sich das Denken, Sehen und Sprechen der Migration materialisiert.
Forschungsprojekte in diesem Schwerpunkt:
Farina Asche
Die Perspektive der Migration im Ausstellungskomplex. Von Engführungen, Brüchen und Konjunkturen im Wissensregime der Migrationsgesellschaft
„Migration ist für Museen zum Thema geworden“, konstatierte im Jahr 2009 der kulturwissenschaftliche Museumsforscher und -praktiker Joachim Baur. Während noch bis vor kurzem für die allermeisten städtischen und staatlichen kulturgeschichtlichen Museen Einwanderung nach Deutschland kein prioritäres Thema darstellte, ist seit gut 15 Jahren von einem regelrechten Musealisierungsboom des Themas zu sprechen. Vor diesem Hintergrund wird das Promotionsprojekt aus einer wissensanthropologischen und migrationswissenschaftlichen Perspektive untersuchen, unter welchen zentralen Paradigmen, Narrativen, unter welchen strukturellen Bedingungen und diskursiven Konjunkturen, Migration zum Thema im deutschen Ausstellungskomplex wurde und wie es aktuell verhandelt wird. Hierbei ist von großem Interesse, deutlicher als bisher geschehen, die Wissensproduktion der Akteur_innen in den Blick zu nehmen, die teils seit den 1960er Jahren das Museum befragen und dazu auffordern, Migration als integralen Bestandteil der deutschen Geschichte mitzubearbeiten. Warum, so ist zu fragen, ist die Institution Museum im Vergleich zu anderen Kulturinstitutionen so viel schwieriger für Migrations- und Rassismusfragen zu öffnen? Welches Wissen wird (ir)relevant und welches (un)sichtbar? Wo lassen sich Wendepunkte ausmachen? Zum anderen ist danach zu fragen, wie das Thema im Rahmen des zu konstatierenden neueren Musealisierungsbooms aufgegriffen und im Rahmen von Ausstellungen bearbeitet und dargestellt wird. Hierbei ist der zu beobachtende Gap zwischen den neueren Einsichten und Konzeptentwicklungen der sozial- und kulturwissenschaftlichen Migrationsforschung und den dominanten Thematisierungsweisen von Einwanderungsfragen in Ausstellungen analytisch zu ergründen. In diesem Sinne wird (auch institutionenanalytisch und regimetheoretisch) untersucht, wie es zu Abwesenheiten auf thematischer und struktureller Ebene kommt. Eine von der Gegenwart ausgehende Gewordenheitskritik wird die museale, akademische und aktivistische Ausstellungspraxis seit den 1980er Jahren vergleichend analysieren.
Natalie Bayer
Migration on Display. Eine wissensanthropologische Studie zur Musealisierung der Migration in kulturhistorischen Museen
Natalie Bayer re/konstruiert mit ihrem Dissertationsprojekt die Prozesse, Konzepte und Agenden, unter denen die Migration im v.a. deutschen Museumsfeld derzeit verhandelt werden. Hierbei untersucht sie mittels ethnographischer und diskursanalytischer Methoden die teilweise äußerst konflikthaften „Kontaktzonen“, in denen migrantische, wissenschaftliche, institutionelle und politische Akteure die Wissensproduktion zur Migration resp. Gesellschaft und Geschichte aushandeln. Hierbei dienen ihr die Strategien, Inhalte und Ziele von Repräsentationsprojekten, die dezidiert eine Gegengeschichtsschreibung intendieren, als Ausgangspunkt für eine konstruktive Institutionskritik.
Publikationen:
- Bayer, Natalie (2014): Post the museum. Anmerkungen zu den Effekten der Migration im Museumsbetrieb. In: Elpers, Sophie/Palm, Anna (Hg.): Die Musealisierung der Gegenwart. Von Grenzen und Chancen des Sammelns in kulturhistorischen Museen. Bielefeld: Transcript Verlag (forthcoming)
- Bayer, Natalie (2014): Migration und die museale Wissenskammer. Von Evidenzen, blinden Flecken und Verhältnissetzungen. In: Yildiz, Erol/Hill, Marc (Hg.): Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft. Bielefeld (forthcoming).
- Bayer, Natalie (2013): Dragutin Trumbetaš – Kunst als widerständiges Handeln. In: historisches museum frankfurt (Hg.): Dragutin Trumbetaš: Gastarbeiter in Frankfurt 1965 – 1985 (Ausstellungspublikation). Frankfurt (forthcoming).
- Bayer, Natalie/Terkessidis, Mark (2012): Zombie Attak! Ein Plädoyer für mehr Phantasie in der Debatte über Museum und Migration. In: kulturpolitische mitteilungen. Zeitschrift für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, Heft 139, IV/2012. S. 52-54.
- Bayer, Natalie (2012): Unter den Vitrinen. In: Hinterland, Thema: Unterhaltung, 21/2012. S. 47-52.
Christine Braunersreuther
Visits and Visibility - Möglichkeiten der (Re)präsentation transnationaler Pflegekräfte aus Osteuropa in Ausstellungen
Christine Braunersreuther beschäftigt sich in ihrem Dissertationsprojekt mit den Möglichkeiten der (Re)präsentation transnationaler Pflegekräfte aus Osteuropa in Ausstellungen. Transnational agierende 24-Stunden-Pflegekräfte aus Osteuropa sind, trotz zahlenmäßig hoher Präsenz in sog. „Hausbesuchen“ (visits), in der Öffentlichkeit ihres Arbeitsortes beinahe unsichtbar. Als „stille HelferInnen“ sind sie akzeptiert, ihre Situation wird jedoch wenig reflektiert. Die Dissertation stellt die Frage, ob und inwieweit in Ausstellungen Sichtbarkeit für Pflegetätigkeiten generell und deren ProtagonistInnen und hergestellt werden kann und soll. Grundlegend wird dafür die historisch tradierte Unsichtbarkeit von Care-Tätigkeiten dargestellt. Hierbei liegt der Focus in der Betrachtung von Vorurteilen und Zuschreibungen im Bild der vorwiegend weiblichen Care-ArbeiterInnen am Arbeitsort, und deren Nutzen für kapitalistische Sozialsysteme. Dem gegenüber steht das Selbstbild der ArbeiterInnen, sowie ihre Sicht auf ihre Arbeit und die Auswirkungen des transnationalen Agierens. Auf Basis kulturanthropologischer und feministischer Diskussion von Care-Tätigkeit soll ausgelotet werden, wie in Ausstellungen und Museen die Unsichtbarkeit von deren sozialgesellschaftlichem Beitrag aufgehoben werden kann. Aus dem Blickwinkel der Museologie, Szenografie und der Visual Studies werden mögliche Formen der Präsentation beleuchtet. Ein zentrales Moment ist dabei herauszufinden wie, ob und auf welche Weise die ProtagonistInnen sich repräsentiert sehen wollen. Umfang und Sinnhaftigkeit zeitgemäßer, inklusiver museologischer Methoden wie Partizipation und Social Inclusion, aber auch das emotionsbetonte performative Ausstellen sowie der Einsatz künstlerischer Installationen und Interventionen werden in Gesprächen mit den AkteurInnen diskutiert.
Habibe Senturk
Habibe Senturk untersucht in ihrer Dissertation „halay“. „halay“ ist eine weitverbreitete Tanztradition in der Türkei, welche besonders in den letzten drei Jahrzehnten einen zunehmenden politischen Stellenwert bekommen hat. Habibe führt ethnographische Feldstudien in der Diaspora in Deutschland durch mit dem besonderen Interesse inwieweit sich diese politische Bedeutung nach der Migration im deutschen Kontext übertragen oder verändert hat.